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  • Politik
  • Kreistag Bernau beschloß ein „Ersatzberufsverbot“ für Mediziner / Ein Betroffener: „Soll ich mich aufhängen?“

Geht's bei der Jagd auf „Stasiärzte“ eher um Honorare?

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Rund 90 Kassenärzte haben sich im brandenburgischen Landkreis Bernau niedergelassen. Geht's nach dem Kreistag, werden es bald weniger sein. 22 SPD- und CDU-Abgeordnete setzten nämlich Ende Januar bei 13 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen einen Beschluß durch, „Mietverträge unter Hinzunahme aller Rechtsmittel zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu annullieren“. Von der Kassenärztlichen Vereinigung wird zugleich ultimativ verlangt, „die Bewerbung, unter deren Bedingungen es zur Genehmigung für die Niederlassung... kam, zu prüfen und offenzulegen“. Ein Ärzteskandal in Bernau? Der Beschluß fordert „Prüfung und Offenlegung, wo im Kreis ehemals hochdotierte Mitarbeiter oder inoffizielle Zuträger des MfS zu Niederlassungen... gekommen sind“. Zwar hatte das der Ausschuß für Gesundheit und Sozialwesen seit

Oktober in sechs (!) Sitzungen versucht. Doch offenbar erfolglos. Eine Presseerklärung mit sechs Namen wurde jedenfalls gestoppt.

„Aus'gutem Grund“, meint Wolfgang Kuhn, der zuständige Dezernent, der sich einen „rechten SPD-Mann“ nennt. Er habe sich beim Beschluß der Stimme enthalten. „Globale moralische Schuldzuweisung“ sei inakzeptabel.

Genau das scheint in Bernau zu geschehen. „Für 5 hochkarätige Stasioffiziere“ sei dort „eine Nische gefunden worden“, hatten Bernauer Ärztinnen in Briefen an diverse Minister, Ärztekammern und -verbände beklagt. In Wirklichkeit wurden sie wegen Ärztemangel dringend gesucht. Auch Mediziner, die früher beim medizinischen Dienst des MfS gearbeitet hatten,, hat man deshalb Ende 1989/Anfang 1990 im Kreiskrankenhaus bzw. der Kreispoliklinik

Bernau eingestellt. Ein fähiger Chirurg sei z.B. „mit Kußhand“ genommen worden, sagt Dezernent Kuhn. Vorwürfe, den „Stasiärzten“ sei „mit behördlicher Unterstützung“ ein „protegierter Start in eine gesicherte Existenz“ ermöglicht worden, weist er zurück: „Dieselben Bedingungen wie ande-

räume schon an zwei Kollegen vergeben, darunter an den, der „mit Kußhand“ aufgenommen wurde...

Doch nicht nur um Praxisräume scheint es zu gehen. In einigen Disziplinen gebe es bei den niedergelassenen Ärzten schon eine „Sättigung“, bestätigte Dezernent Kuhn. Da sich eine Kassenarztpraxis nur „rechnet“, wenn sie möglichst viele Patienten hat, ist Konkurrenz natürlich unerwünscht...

Einer der in Bernau verteufelten „Stasi-Ärzte“ erzählte mir, wie er zum MfS kam: Er hatte im Klinikum Buch gearbeitet. Als 1980 das MfS-Krankenhaus eingerichtet wurde, bot man ihm an, als Chefarzt eine Abteilung aufzubauen. Das reizte ihn. Als das MfS-Krankenhaus 1990 dichtgemacht wurde, nahm man ihn im Klinikum Buch wieder auf. Doch dann beschloß der Berliner Senat, alle einstigen MfS-Mitarbeiter aus dem öffentli-

chen Dienst zu entlassen. Obwohl „leidenschaftlicher Kliniker“, blieb ihm nur die Niederlassung. „Was soll ich denn machen, soll ich mich aufhängen?“

„Ersatzberufsverbot“ nannte deshalb PDS-Fraktionsvorsitzender Dr. Erhard Krüger den Kreistags-Beschluß in der Debatte. Auch die Fraktion 5, zu der Abgeordnete von Bürgerinitiativen und vom Neuen Forum gehören, lehnte ihn ab. Heiner Schülke, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, sagte uns bündig: „Wir haben ein Zulassungsrecht, in dem es keine Stasi-Klausel gibt.“ Das sei Bundesrecht und müsse angewendet werden. „Wenn ein Arzt die subjektiven und objektiven Voraussetzungen erfüllt, sich niederzulassen, dann wird er bei uns im Zulassungsausschuß behandelt, wie jeder andere auch.“ Dr. CLAUS DÜMDE

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