nd-aktuell.de / 13.02.1992 / Kultur / Seite 6

Ein kultureller Dialog

Wie wird das Europa aussehen, das da 1993 mit dem gemeinsamen Binnenmarkt zusammenwachsen soll? Wie wird sich kulturelle Vielfalt erhalten und entfalten? Wird in diesem Europa des Geldes Kultur überhaupt eine Rolle spielen?

Das Projekt des „Vereins für Literatur“ - „Europäische Literaturtage '92 Südeuropa“ - widersetzt sich dieser Tendenz. In Dortmund wird vom 11. bis 23. Februar der Versuch gestartet, vier Länder Südeuropas (Italien, Griechenland, Spanien und Portugal) mit ihren Literaturen dem Publikum zugänglich zu machen, um so den kulturellen Dialog in Europa zu fördern. Der ist dringend geboten, denn wer kennt Namen wie Luigi Malerba, Vassilis Vassilikos, Jose Saramago oder Rosa Montero, die in ihren Ländern sehr bekannte Schriftsteller sind.

Im Studio der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund werden zweisprachige Lesungen stattfinden, bei denen sich bedeutende Autoren zusammen mit solchen vorstellen, die noch weniger populär sind. Da dürfte manche literarische Überraschung sicher sein. Neben den abendlichen Lesungen finden eine Buchschau mit rund 600 Bän-

den südeuropäischer Literatur, eine Ausstellung mit „Illustrationen zu europäischer Lyrik“ sowie ein „Kinder- und Jugendbuchwochenende“ statt. Zwei Diskussionsrunden gelten den Fragen „Neue Freiheit - neue Themen“ sowie „Literatur ohne Grenzen. Die Bedeutung der Nation für die Literatur“.

Ein besonderes Augenmerk richten die Veranstalter auf die „Gastarbeiterautoren“, die in Deutschland leben und schreiben. Wie sehen sie ihre Literatur, die in der „Fremde“ entsteht? Mit 14 Autoren aus Südeuropa verspricht das Programm nicht nur einen vielgestaltigen Einblick in die Literaturen Südeuropas, sondern auch zu einem wirklichen Mittler der Kulturen zu werden. Doch ein Wermutstropfen bleibt: Das ABM-gestützte Projekt läuft im Sommer dieses Jahres aus, obwohl es gerade auch eine einmalige, breite Zusammenarbeit von 21 verschiedenen Einrichtungen befördert hat. Die Einmaligkeit solcher Projekte droht zum Synonym für den Stellenwert zu werden, der Kultur im vereinigten Europa beigemessen wird.

STEFAN BRAMS