nd-aktuell.de / 13.02.1992 / Sport / Seite 7

Ist eine Frau eine Frau?

Ist eine Frau eine Frau? Ist eine Frau kein Mann? Man mag die Fragen zunächst für widersinnig halten. Aber so oder so gestellt, haben sie olympische Dimensionen. Und ihre Beantwortung entscheidet über das Startrecht bei Olympia. Dabei sind die Spiele in Albertville offensichtlich zu einer Spielwiese für ein medizinisches Experiment geworden. Französische Mediziner entwickelten nämlich einen neuartigen Sex-Test, der auch vom IOC sanktioniert und damit zur Pflicht für alle Athletinnen erhoben wurde, den der eigentliche Erfinder Dr. Bernhard Dingeon schlicht und einfach „Speicheltest“ nennt.

Längst ist die Zeit vorbei, als die Athletinnen noch unbekleidet vor einer Handvoll von Ärztinnen „paradieren“ mußten, wie das beispielsweise beim ersten Sex-Test 1966 bei der Leichtathletik-EM in Budapest der Fall war. Die in Albertville praktizierte Untersuchung zur Geschlechtskontrolle ist humaner. Antje Misersky vom WSV Oberhof, Olympiazweite im 7,5km-Biathlonlauf, fand sie auch nicht anstößig: „Mit einer etwas eigenartig geformten Bürste, die aussieht wie eine Wimpernspirale, wurde in der Mundhöhle Speichel entnommen und in ein Reagenzglas mit einer Flüssigkeit gegeben. Eine Minutensache nur.“ Die 24jährige erinnert sich übrigens daran, wie sie vor einigen Jahren einen Sex-Test beim Berliner Gerichtsmediziner Prof. Prokop über sich ergehen lassen mußte, „der viel unangenehmer war“. ,

Prof. Dr. Joseph Keul von der Universitätsklinik in Freiberg, seit 1964 Olympiaarzt der deutschen Mannschaft, beschreibt Sinn und Zweck des neuen Tests so: „Natürlich kommt man im Sport nicht umhin, eindeutig das Geschlecht zu bestimmen. Die neue Methode, so behaupten jedenfalls die französischen Experten, ermögliche eine viel feinere Differenzierung zwischen den weiblichen XX- und männlichen XY-Chromosomen. Mit ihr sollen männliche Y-Chromosomen eindeutiger nachgewiesen werden können. Ist der Test jedoch positiv, müssen unbedingt weitere klinische Untersuchungen erfolgen, ehe der Betreffende von Olympia ausgeschlossen wird.“

Zweifellos ist generell begrü-ßenswert, was - grob gesagt zur „Sauberkeit des Sports“ beiträgt, und das beschränkt sich medizinisch eben nicht allein auf Doping-Tests, von denen es bei diesen Spielen rund 500 gibt. Dennoch ist in Albertville der neuartige Sex-Test auch auf energischen Widerstand von Fachärzten gestoßen, weil nach ihrer Auffassung dieser chemische Test noch nicht wissenschaftlich exakt diskutiert wurde. Deplaziert sind hingegen ethisch verpackte Einwände, nach denen bei einer möglichen Disqualifikation aus medizinischen Gründen die ärztliche Schweigepflicht gebrochen werden müßte. In Albertville ist es dazu nicht gekommen. Ob eine Frau kein Mann ist, das will man schon ganz genau wissen