EU auf dem Weg zum Militärbündnis

ND-Gespräch mit Sylvia-Yvonne Kaufmann

  • Lesedauer: 4 Min.
Auf Skepsis und Kritik trifft der heutige Gipfel von vier EU-Staaten zur Entwicklung einer europäischen Verteidigungspolitik. Mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizevorsitzende der linken Fraktion im Europaparlament und Mitglied des Verfassungskonvents der Europäischen Union, sprach Olaf Standke.

ND:
Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg wollen heute das Projekt einer europäischen Verteidigungsunion vorantreiben und haben schon im Vorfeld viele Kritiker gefunden. Warum?

Dieser Mini-Gipfel ist offensichtlich eine Antwort der vier Länder auf den Irak-Krieg und die unilaterale Politik der Bush-Administration. Wobei es im EU-Konvent bereits eine deutsch-französische Initiative gab. Beide Außenminister haben erklärt, dass ein voll handlungsfähiges Europa nicht ohne eine Stärkung seiner militärischen Fähigkeiten möglich sei. Man müsse sowohl die Sicherheit des EU-Gebiets und seiner Bevölkerung gewährleisten als auch in der Lage sein, in entfernten Weltregionen militärisch zu intervenieren, und zwar unabhängig von den USA und der NATO. Man will jetzt also einen Impuls für die Entwicklung einer europäischen Verteidigungsunion geben.

ND: Als Spaltungsgipfel, wie auch von Unionspolitikern zu hören ist?

Spaltungsgipfel ist nicht der richtige Begriff, aber obwohl die vier Länder für mehr Integration auf militärischem, auf sicherheits- und verteidigungspolitischem Gebiet eintreten, werfen ihnen andere einen Alleingang vor. Der belgische Ministerpräsident hat ja sogar vorgeschlagen, einen europäischen Generalstab zu bilden und integrierte Streitkräfte zu schaffen. So weit sind die Diskussionen innerhalb der EU jedoch noch lange nicht. Aber im Konvent findet sich in den ersten Vorschlägen zur Außen- und Sicherheitspolitik diese Richtung bereits wieder.

ND: Die EU-Verträge erlauben Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen, zunächst in kleineren Gruppen Initiativen zu ergreifen. Bisher aber noch nicht für die Verteidigungspolitik. Erwarten Sie, dass die vier Staaten diese vielleicht sogar außerhalb der EU organisieren, wenn ihnen kein weiterer folgt?

Nein. Ich rechne damit, dass es Vorschläge für den Ausbau der EU zur eigenständigen Militärmacht geben wird. Wenn man die Debatten im Konvent verfolgt, dann zeichnet sich ab, dass es künftig auch im Verteidigungsbereich für eine Staatengruppe möglich sein soll, voranzugehen und im EU-Rahmen eigenständig zu agieren. Hier gibt es entsprechende Ideen, nach welchem Verfahren das funktionieren soll. Die Arbeitsgruppe Verteidigung hat zum Teil sehr weit reichende Vorschläge gemacht, die in den Plenumsdiskussionen nicht immer aufgegriffen wurden; aber vom Präsidium ist jetzt eine Reihe von Vorschlägen für Verfassungsartikel vorgelegt worden, die letztlich auch Ansätze dieser Vierer-Initiative aufnehmen.
So sollen die Mitgliedstaaten im Artikel 30 zur künftigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) - das ist ein neuer EU-Begriff - zusagen, ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern. Mitgliedstaaten, die miteinander multinationale Verbände bilden, sollen diese der GSVP zur Verfügung stellen. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs hätte das Recht, bei militärischen Operationen auf eine Gruppe von Mitgliedstaaten zurückzugreifen, die entsprechende militärischen Fähigkeiten haben. Das Präsidium will eine so genannte Beistandsklausel zur »Abwendung terroristischer Bedrohung« auch mit militärischen Mitteln einführen. Es wird die Gründung einer Agentur für Rüstung und strategische Forschung angeregt, und es gibt Vorschläge zur Finanzierung künftiger militärischer Operationen entsprechend dem Bruttosozialprodukt.

ND: Schon im Sommer soll eine Eingreiftruppe der EU Gewehr bei Fuß stehen.

Das ist der Kern dessen, was bislang, insbesondere seit 1999, unter der Überschrift Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik läuft. Hier geht es aber nicht im klassischen Sinn um die Verteidigung des nationalen Territoriums im Falle eines Angriffs, sondern hier geht es darum, dass man mit militärischen Mitteln zur Intervention in Krisengebieten in der Lage sein soll und zwar in einem Umfeld von über 4000 Kilometern um die EU herum. Da gibt es inzwischen auch ein Kooperationsabkommen mit der NATO, wonach die EU auf militärische Kapazitäten der Allianz zurückgreifen kann.

ND: Wie steht die linke Fraktion zu diesen Entwicklungen?

Wir betrachten sie mit großer Sorge, weil es keinerlei Hinweise gibt, dass die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsunion etwa mit dem Rückbau der nationalen militärischen Fähigkeiten verbunden wäre oder überhaupt das Ziel der Abrüstung angedacht wäre. Ganz im Gegenteil. Alles geht in Richtung Stärkung der globalen militärischen Interventionsfähigkeit der EU, Entwicklung der EU hin zu einem Militärbündnis. Das lehnen wir strikt ab.

ND: Wie sollten die Schwerpunkte einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU denn aussehen?

Die Union darf auf keinen Fall in einen Rüstungswettlauf mit der einzig verbliebenen militärischen Supermacht, den USA, treten. Die EU hat einen großen Erfahrungsschatz als ziviles Integrationsprojekt, kann diese politischen und kulturellen Werte in der Weltpolitik in die Waagschale werfen. Die EU sollte durch politischen Dialog, durch Konfliktprävention, durch Abrüstungsinitiativen eine deutlich andere Politik machen. In diesem Sinne trägt sie große Verantwortung in der internationalen Politik.
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