Kritiker allemachen

Gefährlicher Journalistenalltag in Georgien

  • Nino Ketschagmadse und Oliver Renn
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Unabhängige Medien und Enthüllungsjournalisten haben es nicht leicht in Georgien. Korrupte Staatsdiener überziehen sie mit Verleumdungen und Drohungen. Rückhalt gibt es immerhin aus der Bevölkerung, wobei das politische Bewusstsein in der Kaukasusrepublik ansonsten nur langsam erwacht. Für den durchschnittlichen Streifenpolizisten gehört Bestechung zum Alltag. An fast jedem Verkehrsknoten suchen sie mit teils unhaltbaren Vorwürfen gegen Auto- oder Busfahrer ihr dürftiges Einkommen aufzubessern. Auch die Staatsanwaltschaft und einige Richter scheinen in ihrem Berufsalltag keine Skrupel zu kennen, heimlich Geld in die Tasche zu wirtschaften. Jeder ahnt es, doch kaum einer spricht es offen aus.
Vor kurzem hat Journalist Akaki Gogitschaischwili einige korrupte Beamte Georgiens in einem TV-Magazin regelrecht vorgeführt. Dreisteste Bestechungsszenen haben er und sein Team mit versteckter Kamera zusammengetragen und prompt das Höchste Gericht der kleinen Kaukasusrepublik auf den Plan gerufen. Dieses wandte sich in einer Pressemitteilung, die von staatstreueren Medien unkommentiert abgedruckt wurde, an das Volk. Mit dieser Sendung habe die Verbrecherwelt begonnen, »die Macht des Gerichts« nachhaltig zu schädigen. Die Staatsanwaltschaft müsse gegen die unlauteren Methoden dieser Journalisten »mit ihrer kriminellen Vergangenheit« ermitteln. Einen Monat lang lief die Hasskampagne gegen den Fernsehsender »Rustavi2«, der die betreffende Sendung »Samotsi tsuti« (60 Minuten) wöchentlich ausstrahlt und damit stets eine Einschaltquote von rund 50 Prozent erzielt. Zu einem Prozess kam es nicht. Wohl auch, weil internationale Organisationen Protest ankündigten.
Das freche Reportagemagazin gehört in Georgien zu den wenigen Formaten, die überhaupt Enthüllungsjournalismus betreiben. Zwar mangele es auch hier einigen Redakteuren noch an Professionalität, seien nicht alle Geschichten durch glasklare und auch vor Gericht haltbare Fakten untermauert, so Lewan Ramischwili, Leiter des Liberty-Institute, einer auch außerhalb des Landes angesehenen nichtsstaatlichen Organisation für Menschenrechte und Pressefreiheit, doch man müsse froh sein, dass angesichts der heimlichen und offenen Einschüchterungsversuche überhaupt noch Journalisten im Dienst der Wahrheit arbeiten.
Erst 1995 wurde die Pressefreiheit offiziell in der georgischen Verfassung verankert. In der Realität können Amtsträger und einflussreiche Privatpersonen aber weiterhin Druck ausüben. So schlugen Polizeibeamte im vergangenen September in der westgeorgischen Stadt Sugdidi eine Stunde nach der Ausstrahlung eines Beitrags über brutale Vorgehensweisen der lokalen Spezialtruppen die TV-Station »Odishi« kurz und klein. Die Autorin musste vor den aufgebrachten Polizisten regelrecht flüchten.
Auch von Amnesty International dokumentierte Vorfälle zeigen, dass vor allem die Berichterstattung über korrupte Staatsbeamte und Politiker, über Seilschaften, illegale Geschäfte oder über das Schicksal politischer Gefangener die Gefahr mit sich bringt, Opfer von Übergriffen zu werden. Obwohl Staatspräsident Schewardnadse bei bekannt werdenden Fällen seine Empörung kundgibt und schonungslose Aufklärung verspricht, wurde bis jetzt keiner der Täter bestraft. Auch gegen die bei »Rustavi2« vorgeführten korrupten Beamten hat bisher niemand etwas unternommen. Sogar der mutmaßlich politisch motivierte Mord an dem Journalisten Giorgi Sanaia, der vor seinem Tod im Juli 2001 für den Privatsender an einer Geschichte über Verstrickungen des Innenministeriums in kriminelle Kreise arbeitete, wurde quasi zu den Akten gelegt. Kollegen und Opposition prangern seither wenigstens öffentlich an, dass die freie Presse zum Verstummen gebracht werden soll. »Oft«, so Akaki Gogitschaischwili der Gründer von »Samotsi Tsuti«, »hatte ich das Gefühl, dass unsere Arbeit letztendlich nichts bewirkt. Doch die "Novembertage" haben mir gezeigt, dass die Menschen uns brauchen, das Magazin lieben.« Der 37-Jährige, der das Enthüllungsgenre bei einem Arbeitsaufenthalt in den USA für sich »entdeckt« hatte, meint die Geschehnisse vor eineinhalb Jahren, als der Innenminister, dem seine Sendung schon lange ein Dorn im Auge war, dem Sender rund 30 Beamte der Sicherheitspolizei auf den Hals schickte. Offiziell, um nach Dokumenten zu suchen, die den Vorwurf der Steuerhinterziehung belegen sollten, obwohl eine Woche vor dem guerillaartigen Besuch die staatliche Steuerbehörde die Bilanz geprüft und »für in Ordnung« befunden hatte. »Rustavi2« übertrug das Geschehen live, bat die Zuschauer um Schutz. Tausende folgten dem Aufruf - die Polizei musste abziehen, um den Volkszorn nicht zum Eskalieren zu bringen. In den nächsten Tagen kam es in der Hauptstadt Tbilissi immer wieder zu spontanen Demonstrationen mit Rücktrittsforderungen an die Adresse des Innen- und Justizministers, selbst Schewardnadse sollte abdanken. Der Präsident sah sich gezwungen, seine gesamte Regierung zu entlassen. Allerdings gelang es ihm - dann wieder ohne besonderen Widerstand aus der Bevölkerung -, die freien Posten erneut mit engen Vertrauten zu besetzen.
»Langsam werden die Menschen hier aktiv. Vor zwei Jahren hätte ich kaum jemanden gefunden, der vor laufender Kamera "aussagt". Jetzt kommen gleich 50.« Das gibt Gogitschaischwili Kraft für seine Arbeit. Und er freut sich, dass internationale Organisationen endlich Ausbildungskurse für investigativen Journalismus fördern. »Sie haben begriffen, dass es ohne starke Medien keine Kontrolle über Gelder gibt, die s...

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