Schriftsteller oder Maikäfer?

Peter Handke, Schröder & Fischer und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Ab und zu sticht mich ein Teufelchen. P.H.

Wieder einmal hat der Schriftsteller Peter Handke dem Wiener Boulevard-Magazin »News« ein Interview gegeben. Das Blatt ist regelmäßiger Blitzableiter der politischen Zornes-Entladungen des bei Paris lebenden Österreichers - wenn dieser nicht gerade in der »Süddeutschen Zeitung« seine Reportagen (Serbien, Europäischer Gerichtshof) veröffentlicht oder dort sehr wahrhaftige Interview-Äußerungen macht (»seit Vietnam haben die Amerikaner nichts anderes gelernt als boomen, beten und bomben«). Handke ist wählerisch geworden, was seine Öffnungsbereitschaft gegenüber Medien betrifft; die meisten, die den Ton angeben, gelten ihm, spätestens seit der Zerschlagung Jugoslawiens, als Zentralorgane einer westlich überheblichen Gesinnungs-Normierung.
Nun attackierte Handke in »News« einen Vorschlag des Verbandes Deutscher Schriftsteller: Joschka Fischer und Gerhard Schröder sollten doch auf Grund ihrer Ablehnung des Irak-Krieges den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Handke: »Mit diesem Vorschlag ist das Wort Schriftsteller außer Gebrauch zu setzen. Diese Leute, die den Krieg gegen Jugoslawien vor vier Jahren scheinheiligst losgebrochen haben, sagen noch scheinheiliger: "Von diesem Krieg sind wir nicht überzeugt." Wenn es stimmt, daß man dafür vom deutschen Schriftstellerverband für den Friedenspreis vorgeschlagen wird, dann höre ich auf. Mein Beruf wird dann Rentner oder Maikäfer oder irgendwas.«
Handke, der emphatisch Danebenhauende, der im Bild ungebremst Wütende, der begeisterte Zuspitzer; ich finde das aufstörend, anregend: diese unablässige Arbeit an ein bisschen Fassung, und sie gelingt ihm einfach nicht. Das Verhalten bleibt unzeitgemäß. »Das sind so kleine Tritte im Vorübergehen«, sagt Handke über sich selbst. Im Roman »Der Bildverlust« (2002) erschien Balkan-Krieger Fischer ja bereits als Randfigur: ein »siegreicher Unterfeldherr«, der »morgendliche Trainingsläufe absolviert«.
Wieder liefert Handke dem Großfeuilleton mit einer kleinen Bemerkung Anlass zur Glosse. Dabei beharrt er mit seiner Maikäfer-Metapher doch nur auf dem gefälligst in Ruhe und Reinheit zu belassenden Adel des Literarischen. Ein Adel, der Friedensstiftung nur deshalb betreiben kann, weil Schriftsteller ohnmächtige Wesen sind. »Ein guter Sieg muß die Besiegten freudig stimmen«, so heißt es in Handkes dramatischem Gedicht »Über die Dörfer«. Wäre das eine Wahrheit, die in der Politik möglich ist? Nie schnell werden, immer scheu sein und sich glückhaft in der harten und schönen Unfreiheit wissen, heute so und morgen so denken zu können - das ist die mit Literatur aufgemachte »Gegenwelt« zum freien Unternehmertum der Politik. Eine Abgrenzung, auf der - Dichters Hygiene! - zu beharren ist. Und Preissegnungen - zumal solche, die mit dem Wort »Frieden« verbunden sind - sollten, so mahnt die Handke-Provokation, einzig und allein eine Entsprechung für diese Schwäche, für diese taktische Zurückgebliebenheit von Künstlern und Intellektuellen sein, für ihre Unfähigkeit, sich auf jener Höhe der Zeit zu bewegen, die Moral sagt, aber Gespür für wechselnde Interessenslagen meint. In der politischen Sphäre büßt bekanntlich das Gewissen schnell seine Substanz ein, da es eine Organisationsform eigenen Rechts ist, aus der man kein verlässliches »Weltvertrauen« beziehen kann. Schien es nicht von gewisser Peinlichkeit, weil so unorganisch wirkend, weil so unnatürlich hereinbrechend, als sich Kanzler Schröder vor Monaten, in Wahlkampfnähe, namhafte Künstler und Intellektuelle an den Abendbrottisch holte? Überwog damals nicht in der kommentierenden Beobachtung ein Gefühl der Befremdung? Haftete diesen Audienzen nicht der Eindruck an, Macht ausübender Geist wolle sich durch einen doch bloß denk- und sprachmächtigen Geist fremdbestäuben lassen?
Was in Handkes jüngstem kleinen rhetorischen Hieb, nebensatzwuchtig doch nur, zum Ausdruck kommt - es entspricht genau dem, was Klaus Amann, Professor für Neuere deutsche Literatur und Leiter des Robert-Musil-Instituts der Universität Klagenfurt, im November 2002 über den Schriftsteller gesagt hatte, als der die Ehrendoktorwürde besagter Bildungsanstalt erhielt: Dieser Autor agiere, was das öffentliche Leben, die Medien, die Politik, Polizei und Militär betreffe, aus einer Position des Angriffs, des Zorns und der Verachtung. »Seit ich mich erinnern kann«, so Handke selber, in seiner Büchnerpreis-Rede 1973, »ekle ich mich vor der Macht, und dieser Ekel ist nichts Moralisches, er ist kreatürlich, eine Eigenschaft jeder einzelnen Körperzelle«. Das, so Laudator Amann, bewahre dem Schriftsteller seit jeher seine »streitbare Unverwöhnbarkeit«.
Unverwöhnbarkeit. Das klingt nach Unversöhnlichkeit. Man lese Handkes Text »Rund um das Große Tribunal« gegen Milosevic in Den Haag, jetzt erschienen bei Suhrkamp, oder eben Klaus Amanns Laudatio auf den Ehrendoktor H., und man stößt zum Beispiel auf die lange Auflistung von Belegen, »warum immer die Deutschsprachigen am besten wissen, was für die Slowenen gut ist«; was sich die westliche Welt anmaßt im Richtspruch gegen »das« Serbische. Da genau wurzelt nämlich Handkes »Poetik der Begriffsstutzigkeit« - die auf einem anderen Wahrnehmungsmodus beharrt als jenes Flachverständnis von politischem Denken, das Regierende an den Tag legen, und bei dem man nie sicher sein kann vor welcher taktischen Notwendigkeit schon morgen wieder das einknickt, was sich heute noch Courage nennt. Charakter nur als ein kurz befristetes Aussscheren aus der Gewöhnlichkeit des Berufs Politiker, das ein paar unwirkliche Momente arg in Erstaunen versetzen kann. So, wie man nun, im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg, über Schröder und Fischer erstaunt und menschlich berührt sein darf. Handke aber lässt sich nicht erstaunen, er bleibt zweifelnd; er hat Fischers infam demagogische, tosend dumme Vergleichs-Weise nicht vergessen: wer Milosevic nicht kriegerisch in den Arm falle, ermögliche ein zweites Auschwitz.
Schröder und Fischer waren gegen den Krieg von Bush, das bleibt ehrenwert, aber beide bleiben doch Repräsentanten eines politischen Paradigmas von Notstand und Sicherheit. Preiswürdig in literarischem Gefilde? Als Martin Walser 1998 den Friedenspreis erhielt, sagte Laudator Frank Schirrmacher, was vom Werk eines Preisträgers ausgehe: »Man muß in Kauf nehmen, daß man verwandelt erwacht; das Leben wird riskanter. Könnte sein, man setzt sich dabei aufs Spiel.« Denkt man bei sowas an Schröder, an Fischer? Der letzte Politiker, der den Friedenspreis erhielt, war Václav Havel. 1989. Im Jahr der Zeitenwende. Und der kommende Staatsmann war da noch - Dramatiker. Dissident.
Der deutsche Buchhandel sollte über Handke lachen, ihn beschämen und ihm für seine provokativ poetischen Weltöffnungstexte der letzten Jahre - den Friedenspreis geben.


Peter Handke: Rund um das Große Tribunal. Edition Suhrkamp Sonderdruck. 70 Seiten, brosch., 5 Euro.
Peter Handke/ Klaus Amann: Wut und Geheimnis - Peter Handkes Poetik. Zwei Reden. Wieser Verlag. 59 Seiten, engl. Broschur. 9,90 Euro.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal