Sozialhilfe pauschal niedrig

Anhaltende Kritik am Modellversuch, einmalige Hilfen »umzulegen«

  • Martin Höxtermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Der bundesweit an über 40 Orten durchgeführte Modellversuch zur pauschalierten Sozialhilfe hilft den Betroffenen nicht, sondern macht sie noch ärmer. Das zeigt das Beispiel Stuttgart.

Seit dem 1.Januar 2001 bekommen 80 Prozent der Sozialhilfeempfänger Stuttgarts einmalige Beihilfen »für regelmäßig wiederkehrende einmalige Leistungen zum Lebensunterhalt« - wie etwa Kleidung, Möbel oder Hausrat - nicht mehr auf Antrag, sondern als Monatspauschale von etwa 38 Euro. Bis Ende 2004 soll dieser Modellversuch zur »pauschalierten Sozialhilfe« andauern. Doch schon heute steht für die Sozialverbände das Ergebnis dieses Experiments fest: Die Ärmsten der Armen werden durch das neue Verfahren noch ärmer.
»Das Existenzminimum der Betroffenen hat sich auf Grund der Neuregelung weiter gesenkt«, kritisiert Manfred Hammel vom Caritasverband Stuttgart. Stuttgarts PDS-Stadträtin Ulrike Küstler fordert: »Die Monatspauschalen müssen sofort erhöht werden, die Teilnahme an dem Modellversuch muss freiwillig sein.« Denn wenn ein Experiment gegen die Menschenwürde verstoße, müsse es schleunigst korrigiert werden, forderte Küstler gegenüber ND.
Die baden-württembergische Landeshauptstadt ist eine von bundesweit über 40 Kommunen, die mit pauschalierter Sozialhilfe experimentieren. Auf Initiative des Landes Baden-Württemberg hatte der Bundesgesetzgeber im Jahre 1999 eine entsprechende Klausel in das Bundessozialhilfegesetz eingeführt. Die erklärte Absicht der Maßnahme: Vereinfachung der Hilfegewährung, Stärkung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Hilfeempfänger, Freisetzung von Verwaltungskapazitäten für gezielte Beratung. Die Umsetzung der Pauschalierung läuft in Baden-Württemberg nach Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung seit Herbst 2000. Zurzeit werden in insgesamt acht Kreisen und Städten verschiedene Varianten des Modells erprobt. Während im Landkreis Tuttlingen und im Schwarzwald-Baar-Kreis die Teilnahme freiwillig ist, werden in Stuttgart alle Menschen, die von der Stütze leben, zwangsverpflichtet. Rund 10 100 Stuttgarter Haushalte sind betroffen, Ausnahmen werden lediglich bei Heimbewohnern, Wohnungslosen, ehemaligen Straffälligen und psychisch Kranken gemacht. Aus Sicht der Stadtoberen ist die Zwischenbilanz des Modellversuchs positiv. »Die Eigenverantwortlichkeit der Menschen wurde gestärkt«, zeigte sich Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch mit den bisherigen Ergebnissen zufrieden. Eine Erhöhung der Pauschalen sei »zum gegenwärtigen Zeitpunkt finanziell nicht realisierbar«, wies sie diesbezügliche Forderungen zurück. Auch an dem Zwangscharakter will man in Stuttgart festhalten. »Würden wir die Teilnahme freistellen, würden diejenigen Sozialhilfeempfänger, die das alte System kennen, wieder in dieses zurückkehren. Dann hätten wir keine Daten mehr, um unseren Modellversuch weiterzuführen«, begründete Gisela Klingler, zuständige Abteilungsleiterin im Stuttgarter Sozialamt die Ablehnung. Für die Betroffenen rechnet sich das neue Modell jedoch nicht, wie das Beispiel einer allein erziehenden Mutter zeigt. Früher habe sie für Bekleidung, Weihnachtsgeschenke und Schulbedarf umgerechnet auf den Monat 32,42 Euro als einmalige Hilfen bekommen, erklärte sie auf einer Infoveranstaltung der lokalen Wohlfahrtsverbände Anfang April in Stuttgart. Jetzt erhalte sie als Pauschale 38,22 Euro. Die Differenz von 5,80 Euro solle sie ansparen; in den vier Jahren, die das Projekt Pauschalierung laufen soll, seien das 278,40 Euro. Wie sie von dieser Summe Waschmaschine, Kühlschrank und andere Haushaltsgegenstände ersetzen soll, sei ihr unbegreiflich.
Die Monatspauschalen gingen angesichts knapper Sozialhilfesätze für den laufenden Lebensunterhalt drauf, bei notwendigen Neuanschaffungen würde auf Pump gekauft, so die Bilanz der Sozialverbände, die sich nachdrücklich für eine Erhöhung der Pauschalen einsetzen. Dass innerhalb der Sozialverwaltung mehr Zeit für Beratung sei, habe sich ebenfalls als Illusion erwiesen, sagte PDS-Ratsfrau Küstler. Im Sommer wird Stuttgarts Sozialbürgermeisterin dem Gemeinderat einen Zwischenbericht zum Stuttgarter Modellversuch vorlegen. Ob aus der Kritik Konsequenzen gezogen werden, bleibt abzuwarten. Denn schließlich soll die pauschalierte Sozialhilfe, so bestätigte Marion Deiß, Pressesprecherin des Stuttgarter Sozialministeriums, als Grundlage einer flächendeckenden Reform der Sozialhilfe dienen.
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