Statthalter Garner als »Geburtshelfer«

»Madrider Erklärung« verlangt unabhängige Übergangsregierung / Schiitenführer-Absage an Gottesstaat

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem zweiten Treffen mit irakischen Politikern und Stammesführern versucht USA-Statthalter Garner die Pax Americana im Zweistromland fester zu zurren. Doch selbst USA-hörige Gruppen achten auf Distanz.

Während die Berater von Präsident Bush noch überlegen, wie sie die Erklärung des Sieges über das Saddam-Regime am wirkungsvollsten inszenieren, versucht Bushs Statthalter Jay Garner eine für die Öl- und Baukonzerne der USA möglichst genehme Übergangsregierung zu etablieren. Nachdem das erste Treffen zu diesem Zwecke in Naserija am 9. April ohne Ergebnis blieb, sollten gestern an symbolischem Ort - im Regierungsviertel von Bagdad - schon erste Pflöcke eingeschlagen werden. Eher zufällig, aber nicht minder symbolisch der Zeitpunkt des Treffens, der 66. Geburtstag des entmachteten Saddam - ansonsten ein Tag großer Aufmärsche.
Garner ließ diese Gelegenheit nicht verstreichen: »Lassen Sie uns heute, an Saddam Husseins Geburtstag, den demokratischen Prozess für die Kinder Iraks beginnen«, erklärte er und fügte emphatisch hinzu: »Uns obliegt die Verantwortung, hier und heute die Geburt der irakischen Demokratie einzuleiten«. Auch sonst versuchte der Irak-erfahrene Ex-General - er zog nach dem Golfkrieg 1991 bei der Errichtung der kurdischen Autonomie in Nordirak gegen Bagdad die Fäden - die etwa 200 Politiker, Geistliche und Stammeschefs verschiedenster Couleur für das USA-Projekt einzunehmen: Die Veranstaltung begann mit einer Koran-Lesung.
Doch nicht nur eine Protestdemonstration von 3000 Schiiten, die eine Teilnahme der Hauza Ilmija von Nadschaf (der wichtigsten theologischen Hochschule des Landes) einforderten, deutet auf erhebliche politische Schwierigkeiten für die Besatzungsmacht hin. Wesentliche Gruppen bleiben oder gehen auf Distanz zu den USA - zumal angesichts der Erklärung von Verteidigungsminister Rumsfeld und anderen, die USA-Truppen würden zwei Jahre oder länger in Irak bleiben.
Um in den Augen ihrer Landsleute nicht als Erfüllungsgehilfen der USA dazustehen, trafen sich 13 Parteien unmittelbar vor dem Bagdader Treffen auf neutralem Boden in der spanischen Hauptstadt, um ihr Vorgehen abzustimmen. Unter ihnen die den USA nahe stehenden Organisationen Irakischer Nationalkongress (INC), Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK), der bislang in Iran ansässige schiitische Oberste Rat für die Islamische Revolution in Irak (SCIRI) sowie die Kommunistische Partei Iraks (KPI). Nach dreitägiger Debatte verabschiedeten sie eine »Madrider Erklärung«, in der sie eine unabhängige Übergangsregierung und die Erhaltung der territorialen Integrität Iraks verlangen. Irak solle künftig eine Mehrparteien-Demokratie sein und die Form eines Bundesstaates erhalten. Außerdem sollen Grundfreiheiten und Menschenrechte geachtet und Minderheiten geschützt werden.
Ungeachtet des Madrider Konsenses bleiben zahlreiche Fragen offen. Zum einen das künftige Verhältnis der staatstragenden Sunniten und der lange niedergehaltenen schiitischen Mehrheitsbevölkerung. Zum anderen die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion. Berichten aus Bagdad zufolge setzt offenbar die vom Saddam-Regime massiv verfolgte und jetzt in Bagdad sehr aktive schiitische Partei Al Dawa al Islamija (Der islamische Ruf) auf die Errichtung eines Gottesstaates nach iranischem Vorbild.
Doch die andere große schiitische Organisation SCIRI hat sich davon losgesagt. Ihr seit 20 Jahren in Teheran residierender Vorsitzender Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim jedenfalls versicherte am Sonntag gegenüber der spanischen Zeitung »El Pais«: »Niemand in Irak will einen Gottesstaat...Die Opposition und die Bevölkerung in Irak werden es nicht zulassen, dass an der Spitze des Staates ein Religionsführer steht, der nach iranischem Vorbild alle Macht in den Händen hält.« Al-Hakim will am 1. Mai nach Irak zurückkehren. Unmittelbar vor seiner Abreise aus Teheran hat er in einem Reuters-Interview auch gegenüber den USA, der UNO, der EU und den arabischen bzw. islamischen Staatenorganisationen Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Garner, der »Geburtshelfer« der irakischen Demokratie, verkündete unterdessen, er will schon bis Ende dieser Woche mit der Bildung der Übergangsregierung beginnen. Doch einer der Stammesführer auf dem Bagdader Treffen sagte, er solle erst einmal seine Hausaufgaben machen und für Strom und Wasser sorgen.
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