Alles nur ein Engelsfurz?

Neuer Anlass, alter Streit: Der Kampf um die Hoheit bei den Sozialisten hält an

Die PDS kommt seit dem erfolglosen Bundestagswahlkampf 2002 nicht zur Ruhe. Am Wochenende sind die schwelenden Differenzen wieder aufgebrochen.

Eigentlich wollen alle nur das Beste - dass nämlich die PDS zur Politikfähigkeit zurückfindet und sich offensiv mit der von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufenen Agenda 2010 auseinander setzt. »Wir brauchen keine Nabelschau, sondern die Auseinandersetzung mit den Plänen von Rot-Grün«, sagt etwa PDS-Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch. »Es ist dringend nötig, dass sich die PDS in der Sozialpolitik genau so engagiert wie in der Friedensfrage«, fordert Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke.

»Kein Zerwürfnis«

Doch während die einen meinen, die Partei habe wieder Tritt gefasst, sehen die anderen eine tiefe Krise. Jüngster Anlass der Auseinandersetzungen ist die Tagung des PDS-Vorstands vom Sonnabend, auf der über ein 34 Seiten langes Papier zu Reformalternativen diskutiert werden sollte. Entstanden ist es im Zuge der Erarbeitung des neuen Programmentwurfs. Auf seiner Tagung am Sonnabend allerdings wollte der Vorstand nicht mehr darüber diskutieren, sondern verschob diese Debatte gegen den Willen von Parteichefin Gabriele Zimmer und einer knappen Minderheit auf Ende Mai, wenn ohnehin eine entsprechende Passage des Programmentwurfs behandelt werden soll.
Statt sich über politische Inhalte zu unterhalten, stritt die PDS-Spitze dem Vernehmen nach zwei geschlagene Stunden über Verfahrensfragen, um sich dann dem Parteiprogramm zu widmen. Dieser Streit hat alle Wunden wieder aufgerissen. Am schärfsten wandte sich gestern der brandenburgische Landesvorsitzende Ralf Christoffers gegen Teile des Vorstands. Insbesondere Bundesgeschäftsführer Hiksch und dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Diether Dehm warf er vor, mit einer Blockadehaltung zu verhindern, dass sich die PDS in die politische Auseinandersetzung zurückmelden kann. »Wenn die Mehrheit im Bundesvorstand den Beschluss fasst, sich nicht mehr mit Politik zu befassen, dann ist die Grenze erreicht«, erklärte Christoffers am Montag in Potsdam vor der Presse, nachdem ihn die Kunde vom Vorstandszwist ereilt hatte. Er sprach von einem »teilweise gestörten Verhältnis zum Bundesgeschäftsführer« und verlangte persönliche Konsequenzen von Hiksch und Dehm. Denkbar sei, so Christoffers, auf einem außerordentlichen Parteitag einzelne Vorstandsposten neu zu besetzen.
Eher gelassen sehen die Angeschuldigten die Sache. Uwe Hiksch erklärte auf ND-Anfrage, das Klein-Papier sei undramatisch und eine tragfähige Grundlage für die Ausarbeitung von Reformalternativen. Allerdings habe es »nur bedingt mit den aktuellen Auseinandersetzungen« um die Agenda 2010 zu tun, sondern sei eher allgemein gehalten. Außerdem wollte er der Parteibasis zum jetzigen Zeitpunkt nicht noch ein dickes Papier zur Diskussion vorlegen. Er kündigte für diese Woche eine Kampagne der PDS zur Schröder-Agenda an. Einem seiner Ansicht nach nicht wahrscheinlichen Sonderparteitag sieht Hiksch gelassen entgegen - »dann könnten wir darüber diskutieren, was wir seit dem Geraer Parteitag erreicht haben, wie es uns gelungen ist, die sozialistische Ausrichtung der PDS zu entwickeln«.
Für die Programmdebatte nicht allgemein genug, für die Auseinandersetzung mit der Agenda 2010 zu unkonkret ist das umstrittene Klein-Papier nach Ansicht von Parteivize Diether Dehm. Er sieht kein Zerwürfnis in der PDS-Führung und sagt mit Blick auf den Angriff von Christoffers, es gebe Leute, die größeres Interesse daran haben, Zwiespalt in die eigenen Reihen zu interpretieren, als den tiefen Streit in der SPD um die »Reformpolitik« anzugehen. »Gemessen an dem, was die SPD derzeit entzweit, ist unser Streit ein Engelsfurz«, befindet Dehm.

»Mehr als kritische Lage«

Der Sinn für diese Art von Sarkasmus ist Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke inzwischen vergangen. Er sieht die PDS seit längerer Zeit in einer »mehr als kritischen Lage« und konstatiert, dass vom Parteivorstand kaum noch politische Initiativen ausgehen. Ausnahmen seien »das Riesenengagement« für den Frieden und die Arbeit am neuen Parteiprogramm. Gehrcke vermisst eine Konzentration auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Nach seiner Ansicht hätte man über das Klein-Papier unbedingt jetzt reden müssen: »Wenn die Vorstandsmehrheit über Reformalternativen, die den Anspruch erheben, ein Gegenstück zum rot-grünen Programm zu sein, nicht debattieren will, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.« Schließlich, so Gehrcke, habe die PDS mit der Bundestagswahl bescheinigt bekommen, dass Kompetenzfelder wie soziale Gerechtigkeit kein Erbpachthof sind.
Hinter der Auseinandersetzung vom Sonnabend steht für Gehrcke der alte PDS-Streit darüber, mit welcher Gewichtung die Partei gesellschaftliche Reformprojekte angeht. Die jetzige Mehrheitslinie führe in die Politikunfähigkeit. Auch Sachsen-Anhalts PDS-Landeschefin Rosemarie Hein hält es für »fatal«, dass die Parteiführung nicht »mit der Basis offen über dringende Reformen« diskutiere. Ihr Schluss: Der jetzige Vorstand hat »versagt«.
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