nd-aktuell.de / 11.03.1992 / Brandenburg / Seite 1

Patientenversorgung ist stark gefährdet

Berlin (dpa). In der Berliner Charit6 müssen Ärzte und Pflegepersonal täglich größere Anstrengungen unternehmen, um die Krankenversorgung aufrechtzuhalten, denn seit einem Jahr grassiert eine regelrechte Kündigungswelle. Vor allem qualifizierte Schwestern und Pfleger, seit einiger Zeit aber auch zunehmend mehr Ärzte und Wissenschaftler, verlassen die Uni-Klinik in Richtung Westen.

Für Marlis Scheunemann, Pressesprecherin der Klinik, ist es keine Frage mehr, daß die medizinische Grundversorgung unter diesen Umständen nicht mehr lange gesichert werden kann. „Die Patientenbetreuung hat bereits einen Knacks erhalten, und der wird ständig größer“. Ursache dieser „dramatischen Entwicklung“ sei der seit Mitte letzten Jahres gelten-

de Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Demzufolge bekommen die Bediensteten in den neuen Bundesländern lediglich 60 Prozent des im Westen üblichen Gehalts, und sie werden ein bis zwei Stufen unterhalb ihrer tatsächlichen Qualifikation und Berufsjahre eingruppiert.

Die verbleibenden Bediensteten sind bemüht, dem Druck durch Überstunden und zusätzliche Wochenenddienste halbwegs standzuhalten. Trotzdem können zur Zeit nur 65 Prozent der Bettenkapazität belegt werden. Die Leiterin des Pflegedienstes, Ingeborg Graße, betont, von etwa 1600 Planstellen sind 160 Stellen nicht besetzt. Der Anteil an besonders ausgebildeten Fachkräften sei in den letzten zwei Jahren von 71 auf sechs Prozent gesunken.