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  • Vor hundert Jahren tagte in Halberstadt der erste deutsche Gewerkschaftskongreß Personalien

„Druck auf die Arbeiter in krassester Weise. ..“ Beihelfer

  • ROSIBLASCHKE
  • Lesedauer: 4 Min.

Heute, am 11. März, wird in Halberstadt eine Jubiläumsfeier des Deutschen Gewerkschaftsbundes stattfinden. Keine große, so wird versichert. Das eigentliche Ereignis ist die Übergabe von 500 000 DM für eine sozialpädagogische Betreuungsanstalt der Arbeiterwohlfahrt an die sächsisch-anhaltinische Kreisstadt durch den DGB-Bundesvorstand. Tätige Hilfe also statt jubelnder Jahrhundertfeier. Doch der Anlaß ist bedeutend: Vor hundert Jahren, vom 14. bis 18. März 1892 tagte in Halberstadt der Erste Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands, einberufen von der Generalkommission der Gewerkschaften. 208 Delegierte vertraten etwa 300 000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Vier Frauen waren dabei.

Auf diesem Kongreß wurde vor allem über organisatorische Fragen debattiert - lebensnotwendig in einer Zeit, die dem Sozialistengesetz folgte, die von Streiks zigtausender Arbeiter gekennzeichnet war. Der Kongreß überwand die Zersplitterung und gab eindeutig den Industrie- und Berufsverbänden den

Vorzug, unter dem Dach der Generalkommission. Man könnte darüber philosophieren, ob den inhaltlichen Fragen genügend Raum gegeben wurde. Die Daten sind eigentlich Programm genug. Der Kongreß trat am 14. März, dem Todestag von Karl Marx, zusammen und endete am 18. März im Gedenken an die Märzgefallenen im Friedrichshain von 1848. Im Protokoll ist nachzulesen, daß die Gewerkschafter Karl Marx' „mächtigem Wort: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch! nachzustreben bemüht“ waren. An anderer Stelle werden die lokal organisierten Arbeiter mit ihrer Resolution zitiert: „In Erwägung, daß durch das kapitalistische Ausbeutungssystem der Druck auf die Arbeiter sich in der krassesten Weise fühlbar macht, und die Macht des Kapitals kein Mittel unversucht läßt, von dieser seiner Macht den ausgiebigsten Gebrauch zu machen, muß es jedem denkenden Arbeiter klar sein, daß es der größten Anstrengungen seinerseits bedarf, diesem Druck mit Erfolg entgegen zu arbeiten“.

Der DGB heute fühlt sich in der Tradition der Generalkommission und des Kongresses. 12 Millionen Mitglieder haben sich in den 16 Einzelgewerkschaften unter seinem Dach zusammengetan. Eine große Zahl, und doch „nur“ etwa ein Drittel der Arbeiter und Angestellten. Gewerkschaftsmüdigkeit? Werden die Gewerkschaften nicht mehr gebraucht? Die gegenwärtigen Streiks, die zähen Tarifrunden, die Kämpfe um den Erhalt der Arbeitsplätze in Ostdeutschland widersprechen diesem Anschein entschieden. Ob beim Streik der Bankangestellten für die Erhöhung ihrer Einkommen, ob bei den Protestaktionen an der Küste und der Besetzung der Werften, ob bei den Demonstrationen der sächsischen Lehrer, der Berliner Kindergärtnerinnen, der Hennigsdorfer Stahlwerker, der Brandenburger Forstleute - immer sind es gewählte Gewerkschafter, die die Aktionen organisieren, Mut machen und Ergebnisse mit erstreiten.

Die Gewerkschaften sind gegenwärtig in den neuen Bundesländern die einzigen Interessenvertre-

ter der Arbeiter, die vom Kapital und ihm verwandten Politikern nicht ohne weiteres beiseitegeschoben werden können. An Versuchen dazu fehlt es seit Monaten nicht. Die Tarif autonomie soll unterhöhlt werden. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche!“ werden die Forderungen der westdeutschen Arbeitnehmer nach höheren Einkommen gegen die der Ostdeutschen ausgespielt. „Teilen, das verbindet“ setzte dem jüngst der DGB-Vorsitzende Heinz-Werner Meyer, an Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichma-ßen gewandt, entgegen.

Dennoch ist der DGB rekonstruierungsbedürftig. Allein die Tatsache, daß durch die deutsche Vereinigung Hunderttausende ostdeutsche Frauen den stark männerdominierten Gewerkschaftsbund erweiterten, weist auf ein Problem hin. Aufbrechen von Bürokratie, Zusammengehen verwandter Gewerkschaften - die Reform ist zumindest auf den Weg gebracht. Es wird auch künftig der größten Anstrengungen bedürfen, um dem Druck des Kapitals mit Erfolg entgegen zu arbeiten.

„Wenn ich die richtigen Namen jener erfahre, die mich vernommen und drangsaliert haben, werde ich gegen sie Straf antrage wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und Erpressung stellen.“ O-Ton Gustav Just, bis gestern Alterspräsident des Brandenburgischen Landtages. Er ist auf der Suche nach den MfS-Leuten, die ihn vor seinem Schauprozeß im Jahre 1957 „bearbeitet“ haben. Angeblich hatte der einstige Generalsekretär des DDR-Schriftstellerverbandes und stellvertretende „Sonntag“-Chefredakteur mit Walter Janka gemeinsam den Sturz der sozialistischen Ordnung auf die Tagesordnung setzen wollen. Beide flogen aus der SED, Just verbrachte vier Jahre in Bautzen.

Nach der Wende wurde das Urteil kassiert. Nun steht der Mann selbst am Pranger. Ohne allzu gro-ße Reuegefühle. Als kriegsfreiwüliger Welteneroberer erschoß er „jüdische Banditen“, zumindest aber „Ortsfremde“. „Befehlsnotstand“, will er einklagen. Und behauptet, den Verweigerungsparagraphen 47 der Militärgerichtsbarkeit nicht zu kennen. Die neue Justiz steht ihm mit verjährter Beihilfe bei. Wie erpreßte die alte zu Stasi-Zeiten...?

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