nd-aktuell.de / 11.03.1992 / Kommentare / Seite 2

Salbe und Seife

In Goslars Kaiserpfalz steht ein Richtblock, darunter die Verordnung für den Scharfrichter: „Es sey geboten, das richteschwert teglich mit wille und fleyss zu scherten. Es sterbe sich schnell ohne schmerzen, das sey Gottes gebot ann die menschliche seele.“ Klartext: Hinrichten ja, aber bitte sensibel.

Justizminister Kinkel drückt sich in Sachen Eigentumsfragen ähnlich aus: „Nein, der 'Tanker' Rückgabe vor Entschädigung kann und sollte nicht mehr gebremst werden.“ Ein paar Atemzüge weiter: „Wir müssen im Umgang miteinander gerade in diesem Bereich feinfühlig und menschlich zueinander sein.“ Bonner Spagat. Salbe für die Öffentlichkeit, während das Einseifen der Betroffenen weitergeht. Ohne Rücksicht auf „Gottes gebot ann die menschliche seele.“

Zum Freitod des Zepernicker Kommunalpolitikers Dr. Detlef Dalk meint der Alteigentümer'

von dessen Wohnhaus: Die Eigentums-Auseinandersetzung sei „vom Stellenwert eher kleingewichtig“, vielmehr habe Dalk seinen Tod „dem Gesamtproblem des Zusammenwachsens beider deutscher Staaten gewidmet.“ Auch hier wieder Herz und Mitgefühl auf dem Gemeinplatz - aber dort,' wo das Leben konkret wird und Verbindlichkeiten im Auf einanderzugehen fordert, wird das Heiliggut Eigentum tunlichst aus proklamierter Menschlichkeit herausgehalten. Es wird zur Kasse gebeten.

Niemand erwartet Rezepte. Aber Politik muß zum Lastenausgleich führen zwischen denen, die aus nun bestehender Eigentumsordnung Vorteile erhalten, und denen, die Nachteile erleiderf. Zudem das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ Investoren hemmt.

Mieterbund-Präsident Jahn forderte Bonn auf, „scharf nachzudenken.“ Doch Kinkel schärft nur mit am Richteschwert. Für den schnellen Tod im Osten.