nd-aktuell.de / 11.03.1992 / Politik / Seite 5

Internierung der Flüchtlinge in Sammellagern – das ist unerträglich

Seit 1977 gab es etwa 30 Versuche, das Asylrecht auszuhöhlen. Mit dem Entwurf einer Neuregelung des Asylverfahrens läuft gegenwärtig einer der schlimmsten Angriffe auf die Rechte von ausländischen Hilfesuchenden. SOS Rassismus gehört zu den Kritikerinnen des Gesetzentwurfes. Warum?

Bisher hat jede Veränderung des Asylverfahrens Verschlechterungen für die Betroffenen gebracht. Die jetzige Neuregelung des Asylverfahrensgesetzes ist ein weiterer großer Eingriff in ihre Rechte. Das betrifft zum einen die rechtliche Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber. Die Entscheidung in nur noch einer Instanz, durch Einzelrichter, ist natürlich ein Angriff auf den Artikel 19 des Grundgesetzes, der die Rechtsweggarantie beinhaltet. Dabei erreicht jeder zweite Flüchtling seine Anerkennung als Asylberechtigter nur über den Klageweg. Zu kritisieren ist ebenfalls die Internierung der Hilfesuchenden in Sammelunterkünften.

Letztlich bleibt vom Grundrecht auf Asyl nicht mehr viel übrig.

Und dann muß natürlich die Frage gestellt werden, warum sich beispielsweise Flüchtlinge aus Jugoslawien überhaupt einer solchen Prozedur unterziehen müssen. Warum erhalten die nicht einfach Bleiberecht. Jeder weiß, daß dort Krieg ist.

Was erwartet Menschen, die nach einer meist langen Flucht nach Deutschland kommen, wenn sie nach dem neuen Verfahrensgesetz um Asyl bitten?

Sie werden aufgefangen, verteilt, numeriert. Dann kommt die Anhörung, ohne daß sie vorher richtig beraten worden sind. Oftmals stehen sie noch unter dem Schock der Fluchterlebnisse. Wie soll eine Frau, die vergewaltigt und gefoltert wurde, völlig fremden Männern gegenüber darüber reden können? Man sperrt die Flüchtlinge in Lager und innerhalb von sechs Wochen soll das Verfahren abgeschlossen sein.

Da ist das Ergebnis ja bereits programmiert

Die meisten werden abgelehnt, was im hiesigen Sprachgebrauch immer mit dem Vorwurf des Asylmißbrauchs gleichgesetzt wird. Das ist zynisch. Wie kann ich von einem Mißbrauch reden, wenn jemand von einem Recht Gebrauch macht? Zu guter Letzt kann der Beauftragte der Bundesregierung, sollte ein Mensch Asyl gewährt bekommen, jederzeit Einspruch erheben. Das alles ist unerträglich.

Fachleute meinen, mit der Verfahrensbeschleunigung werden Rechtsmittel eingeschränkt. Sie bezweifeln, daß der Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist

Das meinen wir auch. Wenn für eine Menschengruppe der Rechtsweg eingeschränkt wird, dann ist das mit der Verfassung nicht mehr konform.

Regierung und Teile der SPD begründen Verfahrensbeschleunigung und Aushöhlung des Grundgesetzes mit der angeblich nicht

mehr zu bewältigenden Flut von Asylbewerberinnen. Stichhaltiges Argument?

Es stimmt einfach nicht. Berlin zum Beispiel hat immer noch dieselbe Quote von Flüchtlingen wie vor der Wende als geteilte Stadt. Es ist richtig, daß weltweit Millionen Menschen auf der Flucht sind, aber die meisten bleiben in den Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer. Seit in Berlin die Mauer weg ist, sind auch wir eine Nachbarregion geworden. Die meisten, die z. B. aus Kriegs- oder Krisengebieten fliehen, kommen nicht freiwillig und bleiben auch nicht freiwillig. Sie wollen wieder zurück. Als in Griechenland die Militärjunta beseitigt war, sind fast alle wieder in ihre Heimat gegangen.

Wurden denn bei der Ausarbeitung der 88 Paragraphen des Asylverfahrensgesetzes Expertinnen von Pro Asyl, SOS Rassismus oder amnesty international hinzugezogen?

Nein. Das ist entstanden in den Beamtenköpfen der Ministerien

ohne Hinzuziehung dieser Organisationen. Pro forma wird in Bonn eine Anhörung stattfinden. Die Erfahrungen, wie das Ausländergesetz durch den Bundestag gepeitscht wurde, zeigen, daß dies 'eine Alibiveranstaltung sein wird.

Was kommt, nachdem das Asylverfahrensgesetz verabschiedet ist?

Man wird unter anderem die Grenzen dicht machen.