nd-aktuell.de / 11.03.1992 / Kultur / Seite 6

Stiller Barde

Noch zu später Stunde füllte sich das Berliner Haus am Köllnischen Park. Hannes Wader sang zum ersten Male nach'der Wende in den neuen Bundesländern. Als historischen Augenblick bezeichnete er diesen Auftritt. Wie würde das Publikum, das ihn einst auf Händen trug, auf seine neuen Lieder reagieren? Eine gewisse Spannung war schon zu verspüren, und die Resonanz bei den Zuhörern war merklich kühler. Das mag auch am schrecklich ungemütlichen Vorlesungssaal gelegen haben. Beim besten Willen ist daraus kein Konzertsaal zu machen. Aber Hannes Wader begann auch mit fast traurig stimmenden Betrachtungen über die eigene Befindlichkeit.

„Wenn die Gegenwart mich bedrängt, wende ich mich der eigenen Geschichte zu.“ Die manchmal melancholische Innenschau rührt an, geht zuweilen unter die Haut. Eines der schönsten Lieder: „Kindheit“. Es erzählt die Geschichte eines Jungen, der stolz einen Büffel formt. Dessen künstlerische Begabung nimmt jedoch niemand ernst. Er wird barsch zurückgestoßen. Der. Refrain dann ist Kommentar aus der Sicht eines erfahrenen Künstlers. Der weiß, sensible Menschen haben es in prosaischer Wirklichkeit schwer. Mit seiner dunklen Stimme bringt Wader diesen Song besonders gut zur Geltung.

Doch Wader ist auch sarkastisch. „Schön ist die Jugend“ - ein'Lebenslauf, in dem wenig Sonnenstunden geboten werden, ist das Pendant zu „Schön ist das Alter“. Diese Vorausschau im eigenen Leben hat schon etwas von schwarzem Humor. Spaß haben Wader und sein Publikum immer noch an „Ankes Bioladen“ mit den sich biegenden verschrumpelten Möhren. Vielleicht auch aus dieser Erfahrung heraus baut Hannes Wader inzwischen sein eigenes Ökogemüse an.

Die Lieder von Hannes Wader sind persönlicher geworden. Er findet Metaphern, die eigene Situationen beschreiben, gleichzeitig jedoch Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft möglich machen. Sie sind von anderer Art als die bisher gewohnten. Das an diesem Abend lange Zeit skeptische Publikum fand an den Liedern mehr und mehr Gefallen. Mancher seiner Songs gehört nicht mehr zum Repertoire. Doch eines der schönsten Antikriegslieder, „Es ist an der Zeit“, sang er als Zugabe.

CLAUDIA WINTER