nd-aktuell.de / 28.03.1992 / Politik / Seite 9

DAS BABY

Nachmittag. Durch die Eingangstür fallen Sonnenstrahlen ein. Die Runde löst sich kurzzeitig auf, man zieht die Kinder warm an, wickelt sie ein und bricht zu einem Spaziergang auf. Die Frauen gehen in kleinen Gruppen, nur Lupinchen geht wie immer allein. Die junge, vierschrötige Frau, die jede Frage kurz und schroff abwehrt, findet schwer Kontakt im Haus, und anfangs mochten die andern sie nicht. Bis sie allmählich dahinterkamen, wie schwer Lupinchen sich aufschließen, wie schwer sie sich artikulieren kann. Nicht allein, weil sie - milieugeschädigt - nur die 6. Klasse abschloß und bis heute nur mühsam liest, sondern weil sie sehr mißtrauisch ist. Aus gutem Grund, wie man erfuhr: Als ihr nach der Wende die Schwester anbot, zu ihr und ihrem Freund zu ziehen, nahm sie das Angebot gern an. Sie merkte nicht, daß man nur nett zu ihr war, weil sie als einzige der Familie noch einen Arbeitsplatz besaß und man sie brauchte, damit sie das Geld ranschafft. Dann fand der Freund ihrer älteren Schwester, daß er Lupinchen nebenbei durchaus auch mal anders benutzen kann...

Lupinchens Sohn ist sechs Wochen alt. Die Neunzehnjährige kam direkt aus der Klinik mit ihrem Baby hierher, um zu lernen, wie man ein Kind pflegt und es altersgerecht ernährt. Sie lernt langsam, doch was sie verstanden hat, wird sie niemals wieder vergessen. Man hat ihr gesagt: Das Kind braucht möglichst jeden Tag viel frische Luft. Deshalb geht sie mit ihm in den Wald, und erst, wenn die andern längst wieder im Haus sind, schiebt Lupinchen den Wagen zurück. Heute kommt sie nicht allein. Heute hat Lupinchen Begleitung.

Sie ist ins Gespräch mit Bärbel vertieft.