nd-aktuell.de / 28.03.1992 / Politik / Seite 9

DAS FORUM

Jede der Frauen hier hat ihr Trauma. Und jede kennt längst das Trauma der andern. Wenn Bärbel irgendwann bereit sein und ihre Geschichte erzählen wird, werden sie gern zuhören, weil die Geschichte hundertprozentig eine Mischung aus Sex und Crime sein wird, vielleicht sogar eine Liebesgeschichte, die sie bis zu Tränen rührt. Doch leider sind Liebesgeschichten rar. Vermutlich wird man nicht weinen können, sondern nur Wut auf den Kerl empfinden, der auch nicht besser ist als die andern, genauso mies wie der eigene Ex, auch nur ein Suffkopp, ein Schläger, ein Schwein. Und man wird sich - zum wievielten Mal? die Spuren männlicher Zuwehdung zeigen, die man immer noch auf der Haut trägt: blaue Flecken, Blutergüsse, Narben von Messern, Schlägen und Tritten. Trotzdem, das wird Abwechslung, ja Spannung in den Tag bringen, an dem sich Bärbel endlich entschließt. Und deshalb wird es kein trister Tag sein, weniger trist als die meisten Tage.

Meist sitzen die Frauen Foyer. Obwohl sie alle mit ihren Kindern separate Zimmer bewohnen, zieht das Leben sich hier zusammen: Das kleine, quadratische Durchgangszimmer dient als Forum, Marktplatz und Spielswiese - ein Säugling schläft im Kinderwagen, ein anderer plärrt in der Krabbelbox, ein Dreijähriger zielt mit Bauklötzern auf den Kopf der Mutter und trifft. Die ignoriert es, der Junge liat eben das Temperament seines Vaters geerbt. Daß die Frauen nicht von den Kindern getrennt, von den Pflichten als Mutter entbunden sind, ist eine Bernauer Besonderheit und wohl eine östliche Spezifik. Nicht der feministische Ansatz, nicht ausschließlich die Frau dominiert, vielmehr die in der DDR sozialisierte Einheit von Mutter und Kind: Mutter und Kind sind gleich betroffen, wenn eine Partnerschaft zu Bruch geht; sie brauchen gleiche Therapie. So wundert es nicht, daß selbst die Alt-BRD dem Mütter- und Frauenhaus Bernau Modellcharakter attestiert. Zumal das keinen Pfennig kostet, solange man es nicht fördern muß. Förderung läge bei der Kommune, die aber hat zum Fördern kein Geld. So trägt sich das Haus auch mit Hilfe von Spenden; Couch, Sessel und Stühle im Foyer sind querbeet zusammengeramscht. Da der Dreijährige es nun öde findet, seine Mutter zu torpedieren und stattdessen die Schokoladenfinger genüßlich an einem Polsterstuhl abwischt, mag die Ausstattung zweckmäßig sein.