nd-aktuell.de / 21.04.1992 / Politik / Seite 4

Hochsaison für US-Henker: Heute wieder Hinrichtung in Kalifornien

Sacramento/Washington (dpa/ epd/ND). Am heutigen Dienstag wird zum erstenmal seit 25 Jahren in Kalifornien wieder ein Häftling hingerichtet. Der Gouverneur des Bundesstaates, Wilson, gab bekannt, daß er einem letzten Gnadengesuch des wegen Mordes an zwei Jugendlichen zum Tode verurteilten Robert Alton Harris nicht stattgibt. Die Anwälte des 39jährigen hatten geltend gemacht, Harris sei durch schweren Alkoholkonsum seiner Mutter mit Gehirnschaden auf die Welt gekommen und in seiner Kindheit grausamsten Mißhandlungen ausgesetzt gewesen.

Der Fall Harris hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt und die Diskussion über die Todesstrafe

neu entfacht. So setzte sich auch Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa für eine Begnadigung ein. Bereits in den Vorjahren waren fünf Termine für die Hinrichtung von Harris festgelegt worden, die aber allesamt ausgesetzt wurde.

In den USA haben die Henker Hochsaison. Aus, Frustation über die jährlich mehr als 20 000 Morde sind Politiker und Wähler zunehmend für den raschen Vollzug der Todesstrafe. Immer mehr Häftlinge haben die Berufungsmöglichkeiten gegen ihr Todesurteil erschöpft. In diesem Jahr sind bereits elf Verurteilte vom Staat vergiftet oder mit Starkstrom getötet worden.

In 36 der 50 .US-Bundesstaaten kann derzeit die Todesstrafe ver-

hängt werden, aber auch in den übrigen Staaten gibt es zunehmende Bemühungen von Politikern und Bürgerinitiativen für die Wiedereinführung. Besondere symbolische Bedeutung hat der Versuch in Washington, auch dort wieder die Todesstrafe einzuführen. Die letzte Hinrichtung wurde hier 1957 vollstreckt. In juristischen Fragen steht Washington unter der Oberhoheit des US-Kongresses. Dort liegt gegenwärtig ein Gesetzentwurf des demokratischen Senators Shelby vor, Morde in bestimmten Fällen mit dem Tod zu bestrafen. Durch ein Volksbegehren gibt es auch auf lokaler Ebene massive Unterstützung für diesen Gesetz-

entwurf. Mit 489 Morden im vergangenen Jahr gilt Washington als die „Mörderhauptstadt“ der USA.

Auf nationaler Ebene ist Präsident Bush einer der engagiertesten Befürworter der Todesstrafe. Kürzlich blockierte er die Verabschiedung eines neuen Gesetzes, weil die Berufungsmöglichkeiten gegen Todesurteile darin nicht eingeschränkt wurden.

Ron Hampton vom „Nationalen Verband der schwarzen Polizeibeamten“ hält es für „unsinnig“, Hinrichtungen und strengere Gefängnisstrafen als Patentrezepte gegen Verbrechen darzustellen. Die hn Vergleich zu Europa hohe Verbrechensrate habe „tiefe gesellschaftliche Ursachen“ Hampton ver-

weist darauf, daß in den Bundesstaaten mit den meisten Hinrichtungen mehr Morde geschehen als in Staaten ohne Todesstrafe.

Seit 1930 sind in den USA insgesamt 4202 Menschen hingerichtet worden. Nur zwischen 1967 und 1977 gab es keine Vollstreckungen. Gegenwärtig warten etwa 2 400 Männer in den Todeszellen auf ihre Hinrichtung, mehr als doppelt so viele wie vor 10 Jahren. 40 Prozent der Todeskandidaten sind schwarz, obwohl diese Gruppe nur 12 Prozent der Bevölkerung stellt. Etwa 200 Menschen werden pro Jahr zum Tod verurteilt. Die meisten davon sind ar^n: 90 Prozent konnten sich nicht einmal einen eigenen Anwalt leisten.