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Bündnis 90 setzt Hürden für die Grünen

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Leitantrag der geeinten Bürgerinnenbewegung Bündnis 90 zur zweiten Bundesdelegiertenkonferenz am kommenden Wochenende liest sich wie eine Mischung aus hoffnungsvoller Vision, resignativer Beschränkung auf das Machbare und trotziger Aufforderung an den stärkeren Bündnispartner. Mit Spannung erwartet wurde der Antrag wegen der von ihm ausgehenden Option auf ein Zusammengehen mit den Grünen. Ob er dies wirklich ist, müssen die Grünen entscheiden - einige Brocken werden schwer zu schlucken sein.

Da wäre zum Beispiel das Bekenntnis zur Marktwirtschaft - abverlangt auch von den Grünen. „Die neue Bürgerbewegung sieht in Lösungen sozialistischer Art... eine Sackgasse.“ Diese Erkenntnis und der fast uneingeschränkte Glaube an die Effizienz des Marktes führen dazu, daß im Leitantrag eine geradezu verklärte Sicht auf die heilsamen Kräfte des Marktes vorherrscht. Keine großen Programme, sondern, wie in einem Pressegespräch am Dienstag erläutert, kleine Veränderungen sind angesagt.

Und so überschreibt denn der Leitantrag auch Visionen mit den Forderungen „Teilhabe am Eigentum“ und „Global denken - lokal handeln-“^. j.Die.»freie Entfaltung

wirtschaftlicher Eigeninitiative soll in der Regel nicht unnötig behindert werden. Hingegen können humane Belange allein nur durch das Spiel privater Kräfte geregelt werden“, heißt es. Es klingt, als hätte ein Verband mittelständischer Unternehmer sein Programm geschrieben. Zwar sind auch die Grünen in ihrer Systemkritik meist nur noch der linde Schatten ihrer selbst. Ob sie sich allerdings auf einen solchen Frieden mit der Marktwirtschaft einlassen werden, ist fragwürdig.

„Teilhabe am Eigentum wird als praktisch realisierbares Bürgerrecht innerhalb einer Wirtschaftsdemokratie angestrebt“, formuliert das Bündnis 90 weiter. Wenige Sätze später wenden sich die Verfasserinnen gegen die Ideologie „des Konsums, die ausgeht von 'Ich bin, was ich habe bzw. tue'...“. Nichts ist nachzulesen, an welchem Eigentum Bürgerinnen denn nun teilhaben sollen und ab wann Teilhabe Ideologie des Konsums bedeutet. Legt man nun Wert darauf, daß jeder ein Stück vom Jäger 90 bekommt, oder will man eher, daß Teilhabe am Eigentum bedeutet, Maß des Konsums mitzubestimmen und menschenverachtendes- und vernichtendes Eigentum nicht mehr zu produzieren? Der Leitantrag gibt keine Antwort.

Ein ganz und gar schwer zu verdauender Brocken für die Grünen wird die Forderung nach paritätischer Besetzung der wichtigsten Gremien in den kommenden sieben Jahren sein. So manch einer wird beginnen zu vergleichen, was nicht zu vergleichen geht - Mitgliederzahlen und politische Erfahrung.

Hinzu kommt, daß sich das Bündnis 90 in seinen partnerschaf tlichen Optionen gegenwärtig noch offen bis beliebig hält. Genannt wurde da unter anderen die ÖDP - rechter geht's nimmer. Sich in Bündnisangeboten auf derart nationalistische Soße einzulassen, wird einem Teil der Grünen sicher Bauchschmerzen bereiten. Zwar haben auch sie in Baden-Württemberg mit den Koalitionsambitionen eine Schamgrenze überschritten, die Zusammenarbeit mit der ÖDP aber würde vielen geradezu ins Gesicht schlagen.

Kommt der Leitantrag des Bündnis 90 am kommenden Sonnabend durch, so enthält er zwar ein „Ja“ zum Zusammenschluß mit den Grünen. Die konkreten politischen Inhalte allerdings bauen eine Menge Hürden auf. Zwei Wochen später sind wieder die Grünen dran, eine Meinung zu haben - auf ihrem Parteitag. Spannend wird es allemal.

KATHRIN GERLOF

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