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  • Politik
  • NORWEGEN: Das Ja der Ministerpräsidentin zur EG schafft klare Fronten

Endlich ist die Sireitaxt ausgegraben

  • JENS-UWE KUMPCH, Bergen
  • Lesedauer: 3 Min.

In Norwegen mögen die Uhren anders gehen - doch als Argument der EG-Gegner äußert sich diese Andersartigkeit bestenfalls in wütenden Leserbriefen. Seit die Landesmutter Gro Harlem Brundtland Anfang April mit ihrem lange vermuteten Bekenntnis zu einer EG-Mitgliedschaft hervortrat, sind auch ihre politischen Gegner an einer offenen Konfrontation interessiert. Die Zielscheibe der „Nein zur EG“-Bewegung ist dabei weniger die Regierungschefin als vielmehr deren Partei, die sich im Gefolge der Volksabstimmung von 1972 spaltete - und auch 20 Jahre später hat die Parteivorsitzende alle Hände voll zu tun, ihre Reihen zusammenzuhalten.

Wie und wann das Thema EG angesprochen wird - der Schatten der Ablehnung von 1972 ist unübersehbar. Damals wurden Parteien, Gemeinden und Familien zerstört, denn die norwegische Identität stand auf dem Spiel. Auch wenn in der 1992er Debatte wieder einmal Gefühle und Angst vor dem EG-Kapitalismus eine große Rolle spielen, sind Gegner und Befürworter darin einig, daß die Rahmenbedingungen verändert sind. Der Norden droht auseinanderzufallen, denn

mit den Beitrittsgesuchen Finnlands und Schwedens und der Mitgliedschaft der Dänen stünden die Norweger allein mit dem Inselreich Island. Das ist Harlem Brundtlands Trumpfkarte, denn tatsächlich wäre ein homogener Norden in der EG des 21. Jahrhunderts ein wesentlicher Faktor. Die konservative Partei ist ebenso wie die liberale Fortschrittspartei auf der Seite der Ministerpräsidentin, doch neben den Kritikern in ihrer eigenen Partei gibt es heute auch drei Parteien, die sich deutlich gegen die EG ausgesprochen haben. Daß diese bei jeder Meinungsumfrage mehr Stimmen auf sich vereinen können, während die Arbeiterpartei langsam an Vorsprung einbüßt, macht die Sache nicht einfacher.

Statistische Untersuchungen der letzten Monate haben gezeigt, daß der EG-Streit anno 1992 Norwegen in zwei deutliche Lager spaltet und die Angst um die Errungenschaften im Wohlfahrtsstaat Norwegen um sich greift. In dem langgestreckten Land sitzen die EG-Gegner vor allem in den Distrikten, die trotz Quotenregelung in Fischerei und Landwirtschaft mit großzügigen Subventionen am Leben erhalten werden. Die Nein-Sager Zentrums-

partei und Sozialistische Volkspartei versuchen sich zudem mit einem einleuchtenden Rechenbeispiel: „Wenn die Arbeitslosenquote in Norwegen bei 5,5 Prozent liegt, in der EG jedoch bei etwa 10 Prozent, ist ein Resultat von 2 Prozent schwer vorstellbar“. Das ist ein schlagendes Argument in einem Land, in dem Vollbeschäftigung die heiligste aller Kühe ist und dank hoher Erdöl- und Gaseinnahmen und der Gebundenheit der Staatsbank an die politischen Organe regulierende Eingriffe in die Geld- und Arbeitsmarktpolitik möglich sind. Ein EG-Mitglied Norwegen kann jedoch diese Instrumente nur noch beschränkt einsetzen.

In Brüssel rechnet man mit einem norwegischen Antrag noch vor Weihnachten, doch bis dahin muß die als kluge Taktikerin bekannte Gro Harlem Brundtland noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Vorkämpfe finden noch bis Mai auf den Konferenzen der Arbeiterpartei in den 19 Regierungsbezirken statt. Die Vorsitzende wird gewiß einiges tun, damit hier möglichst viele EG-Befürworter zum Landesparteitag im November delegiert werden.

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