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  • Brandenburg
  • Jugendstadtrat saß mit Führer von Rechtsradikalen an einem Tisch

Bald neues Zentrum von Neonazis in Lichtenberg?

  • Dieter Bert
  • Lesedauer: 3 Min.

Vorbei an den zuständigen Institutionen hat sich der Lichtenberger Jugendstadtrat Wolfgang Powierski (SPD) mit dem Neonaziführer Arnulf Winfried Priem getroffen. Bei dem Gespräch am 9. April legte dieser zusammen mit einer Gruppe rechtsradikaler Jugendlicher, die sich momentan am Lichtenberger Bahnhof aufhalten, eine Liste leerstehender Häuser vor. Eines davon wollen die Rechtsradikalen in Selbstverwaltung nutzen.

Als am 6. April die letzte Sitzung des Jugendhilfeausschusses der Bezirksverordnetenversammlung (BW) von Lichtenberg tagte, sagte Powierski nichts. Dieser Ausschuß dachte an jenem Tag u.a. über eine Krisenberatungsstelle unter Einbeziehung freier Träger auf dem Bahnhof Lichtenberg nach - nicht nur für rechtsradikale Jugendliche.

Nur drei Tage später traf sich der sozialdemokratische Jugendstadtrat mit den Neonazis zu einem ersten Gespräch. Anwesend waren auch Uschi Roher von der Sportjugend Lichtenberg und der Marzahner Jugendarbeiter Michael Wieczorek, der seit vier Monaten im Jugenclub „Wurzel“ mit rechtsradikalen Jugendlichen arbeitete Aller-

dings haben durch das dortige Konzept die Jugendlichen die Möglichkeit, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Am 20. April feierten sie in der „Wurzel“ den Geburtstag Adolf Hitlers - Grölen von rassistischen Parolen und die Reichskriegsflagge fehlten nicht.

Als Hauptakteur und Sprecher trat der bundesweit bekannte Neonaziführer Priem, der in der Weddinger Osloer Straße wohnt, bei dem Treffen auf. Dieser habe, laut Powierski gegenüber ND, angeblich nur dagesessen und ein-, zweimal etwas gesagt. Priem, der schon in der DDR wegen seiner faschistischen Aktivitäten im Gefängnis saß >Und von der BRD als „politischer Gefangener“ freigekauft wurde, gründete 1974 die sogenannte „Kampfgruppe Priem“. Anfang 1977 wurde er „Aktionsführer“ der illegalen NSDAP-Aufbauorganisa-tion und seine „Kampfgruppe“ wurde in die NSDAP-Sektion Berlin eingegliedert. Bei Hausdurchsuchungen wurden Stahlhelme, SS-Uniformen und ein Maschinengewehr gefunden.

Mit seiner heute noch aktiven Nazitruppe „Wotans Volk“ ging er

1990 ein Bündnis u.a. mit der „Nationalen Alternative“ ein, der Partei, die in der Lichtenberger Weitlingstraße ihr. Hauptquartier hatte. In Lichtenberg will er mit seiner neuen Initiative jetzt weitermachen. !

Während Powierski vor zwei Tagen noch erklärte, er werde das Anliegen der Jugendlichen prüfen, dementiert er heute alles. Vorgestern redete er noch von einem Konzept zuerst solle das Projekt von Mitarbeitern der Sportjugend betreut werden, später solle ein Streetworker mit den Jugendlichen arbeiten. Gestern sagte Powierski gegenüber ND, er werde den Jugendlichen kein Haus zur Verfügung stellen, aber „irgendwie müsse man sich um sie ja kümmern“. Priem werde er, falls dieser bei dem zweiten, für Mitte Mai geplanten Treffen wieder auftaucht, ausschließen.

„Ich bin baff“ sagte die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Ursula Schubert (PDS). Sie wurde von Powierski nicht unterrichtet. Ihr sei unerklärlich, wie dieser mit einer von einem führenden Neonazi dominierten Gruppe „unverbindliche Gespräche“ führen könne. Sie

sei dafür, „in allen Jugendclubs, die wir noch haben, zu versuchen, rechtsradikale Jugendliche zu integrieren“ Aber nicht, diesen ein Haus zur Verfügung zu stellen bzw. mit führenden Neonazis darüber zu verhandeln. „Mit Segregation kann keine Integration erreicht werden“.

Auf der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses, am 4. Mai, will Ursula Schubert einen Beschluß gegen die beschriebenen Pläne und die Weiterführung der Gespräche einfordern. „So etwas werde ich nipht mitmachen“, teilte sie Powierski mit.

Erst kürzlich haben Teile der SPD-Fraktion in der BW zusammen mit der CDU unter angeblich formalen Gründen einen Dringlichkeitsantrag abgelehnt, der die Nichtzulassung der geplanten Demonstration der zu den Bezirkswahlen kandidierenden neofaschistischen Partei „Die Nationalen“ vor dem sowjetischen Kapitulationsmuseum in Karlshorst forderte. Blauäugigkeit sei das mindeste, was man Powierski und seiner Partei vorwerfen müsse, so sagen jetzt BW-Abgeordnete.

DIETER BETZ

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