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Leider nur Knallfrösche abgebrannt

  • Lesedauer: 3 Min.

Kirchenkritik bleibt in der Bundesrepublik, soweit sie medienwirksam wird, meist im kirchlichen Rahmen. Sie ist weitgehend begrenzt auf enthüllende Details, die Insider über die irdischen Interessen der Amtskirchen ausplaudern, oder auf die veröffentlichten Ansichten eines dissentierenden Theologen. Die Kirchen selbst geraten so aussichtsreich in die Schlagzeilen, grundsätzlich in Frage gestellt werden sie dabei kaum.

Neben Karlheinz Deschner, Eugen Drewermann, Hans Küng und Uta Ranke-Heinemann gehört Horst Herrmann zu jenen katholischen Intellektuellen, die derzeit das veröffentlichte Bild von Kirchenkritik bestimmen. Ähnlich wie in seinem 1990 erschienenen Buch über „Die Kirche .und unser Geld“ widmet er sich erneut der internen chronique scandaleuse des Papsttums und der Kirchenoberen. Die 400 Seiten quellen über von Daten, Namen und Ereignissen, die allerdings Deschners Arbeiten zum größten Teil bereits zu entnehmen waren.

Herrmann beschreibt in der ersten Hälfte die Geschichte der römischen Kirche als eine Suppe aus Blut, Gemeinheit, Unterschleif, Korruption, Sexneurose, Hab- und Machtgier, in der zweiten Hälfte folgt die Gegenwart als eine Brühe

Horst Herrmann: Kirchenfürsten. Zwischen Hirtenwort und Schäferstündchen. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1992. 431 S., geb., 44 DM.

gleicher Machart. Das ist gewollt einseitig, wirft Licht auf eine stattliche Anzahl fieser Charaktere, die quer durch die Jahrhunderte vom heiligen Augustinus bis zu heutigen Seelenhirten von Herrmann gebündelt und gebeutelt werden und bleibt unbefriedigend.

Der Leser kann kaum eine andere Schlußfolgerung ziehen als die, daß es angebracht ist, sich möglichst weit von diesen Herrschaften zu halten, die noch jeden Krieg, jeden Massenmord, jede Folter etc. nicht nur guthießen, sondern tatkräftig mithalfen, alles in Szene zu setzen, was dem eigenen Machterhalt diente - von den Kreuzzügen des Mittelalters bis zu denen des 20. Jahrhunderts. Sicher, die Diskrepanz zu Nächstenliebe und Tötungsverbot ist empörend, Herrmanns Nachweis, daß die Abschlachtungen von Menschen anderer Hautfarbe und anderen Glaubens zu allen Zeiten den Segen der Päpste fand, hinterläßt nur die Konsequenz: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Diese Schlußfolgerung gehört allerdings nicht nur zu den langweiligeren der

Historiografie, sie gehört auch nicht zu den überzeugendsten. Vor allem, wenn Veränderungen geschichtlichen Ranges ausgeblendet werden: Herrmann geht fast mit keinem Wort auf das ein, was aus dem Verschwinden des realen Sozialismus folgt. Sein Zitat aus dem „Neuen Deutschland“ über die 43 Millionen DM, die die Bundesregierung für ein kirchliches Sonderbauprogramm in den hinzugewonnenen Territorien lockermachen konnte, ließe sich vermutlich noch etwas ergänzen. Für die anstehende Rechristianisierung scheint kein Preis zu hoch.

Herrmann verzichtet auf eigene Zusammenfassungen und damit Erklärungen fast völlig. Die „Zynismokratie“ (S. 365) der Kirchenfürsten ist für ihn ein „Spiegelbild einer Welt der Herrschenden“, eine „subtile Form materieller und geistiger Ausbeutung“ (S. 248). Das geht über Andeutungen nicht hinaus. Das Buch des Münsteraner Kirchenrechtlers zielt auf Empörung, weniger auf Einsicht. Die Unordnung des Materials, der Verzicht auf die einfachsten Fragen nach Gründen und Tendenzen macht das Buch zu einer verp^^fcin Chance: Ein Abbrennen von Knallfröschen, wo das Anzünden einer Lunte fällig wäre.

ARNOLD SCHÖLZEL

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