nd-aktuell.de / 30.04.1992 / Kultur / Seite 14

Erinnerungsarbeit

Nach Hitler - nach Honecker? Der Jenenser Historiker Ludwig Elm hat die Provokation aufgenommen. Nicht, weil sie sich zwingend aufdrängt, sondern weil sie einer an sich notwendigen Diskussion aufgedrängt wird. Seltsamerweise von Menschen, die bei der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit nie sonderliche Vehemenz bewiesen haben. Im Gegenteil: Die Jahre von 1933 bis 1945 gelten ihnen als hinlänglich abgebüßt und antifaschistische Erinnerungsarbeit als moralisierende Rigorosität.

Elm hat nur zu recht, wenn er schreibt, man solle skeptisch sein gegen jene, die von der DDR pauschal als „Unrechtsstaat“ reden, die die SED in die Nähe der N<SDAP bringen uncl nun nachhoplen wollen, ?, was 1945 versäumt wurde. Von, ^archaischen VerhaJtensregeln“ sprächen Alexander und Margarete Mitscherlich, wenn Sieger dem Besiegten Demut, jedoch keine Argumente zugestünden. Ludwig Elm bietet Argumente, eigene wie auch die von westdeutschen Zeitzeugen, die die Geschichte des eigenen Landes mit kritischer Wachsamkeit verfolgt haben.

Daß in den Westzonen nach 1945 die sozialökonomischen Strukturen ebensowenig aufgehoben wurden wie die Privilegien der besitzenden Oberschicht, machte die Entwicklung in diesem Landesteil gravierend anders als in der Ostzone. Hier gab es keinen Rückgriff auf Vorhandenes, das System stand und fiel mit den Personen, die in die neuen Amter kamen. Daß diese bald privilegierte Kaste die Macht mißbrauchte, ist reicher Stoff für Untersuchungen. Doch dieser Form, Macht zu „konservieren“, fehlten, so Elm, die restaurativen Momente, die über der Staatsgründung BRD gelegen haben. Auch das häßliche Gesicht des Sozialismus habe noch unverkennbar die Züge einer Gesellschaft getragen, die sich der Gleichheit und dem Frieden verpflichtet fühlte.

Elm bietet einen Rückblick, den viele vergessen oder verdrängt ha-

Ludwig Elm: Nach Hitler. Nach Honecker. Zum Streit der Deutschen um die eigene Vergangenheit. Dietz Verlag Berlin 1991. 208 S., brosch., 19,80 DM.

ben. Daß Schuldbeladene in Justiz, Hochschulen, Regierungsämtern Einlaß gefunden und auf politische Alltagsgeschäfte Einfluß genommen haben, hat der BRD ein nicht unbedenkliches Erbe mitgegeben. Zwar habe das Jahr 1968 für einige Frischluft gesorgt, doch auf der anderen Seite stand ein erneuerter und einflußreicher Konservatismus, der über die „Unmenschlichkeit des Moralismus“ wetterte.

Elm läßt keinen Zweifel daran, *rft^Jie-««^shichte-4*»-4)ö»!*ui den vSeziertisch muß. /Politische

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Machtmißbrauch und geistige Fesselung müssen offengelegt werden. Die Intentionen vieler unberufener Richter jedoch, mit der Geschichtsbewältigung eines untergegangenen Rumpfstaates das vereinte Deutschland reinzuwaschen, sei ein gefährliches Unterfangen. Die unaufgearbeitete historische Altlast, die von der BRD in die Einheit eingeschleppt wird, kann weitaus ärgere Folgen zeitigen als die deformierte DDR samt ihrer schon bekannten und noch ungekannten Schuldlast je wird einbringen können.

Der Vergleich 1945 mit 1989 verbietet sich. Wer heute das „Versäumnis“ nachholen will und Beamte der Ex-DDR mit der Unnachsichtigkeit behandelt, die man vormals in der Be- und Verurteilung belasteter Nazis nie aufgebracht hat und dabei vorgibt, aus der Geschichte gelernt zu haben, tut nichts weiter, als das herkömmliche Freund-Feind-Bild mit all den bekannten verheerenden Folgen abermals einzusetzen. Deutsche Geschichte ist die Geschichte Gesamtdeutschlands seit 1871. Für ihre Aufarbeitung hat Ludwig Elm einen hervorragenden Diskussionsbeitrag geliefert.

HANS BERGMANN