nd-aktuell.de / 12.05.1992 / Politik / Seite 6

Leben mit Knick in der Seele

GERHARD EBERT

Alltag in Amerika. Vereinzelte, vereinsamte, den sozialen Prozessen ausgelieferte, mit sich selbst beschäftigte Frauen. Sie geben „Lebenszeichen“ - so der Titel des Werkes von Jane Martin aus dem Jahre 1989 - in deutscher Erstaufführung auf der Studiobühne des Berliner Maxim Gorki Theaters. Und sie vermitteln Mentalitäten, Denkweisen, auch Gefühlsmuster aus dem heutigen Land der „unbegrenzten“ Möglichkeiten.

Was Carl-Hermann Risse zu inszenieren hatte, ist freilich kein Stück. Weder Handlung noch Dialoge. Jane Martin liefert Momentaufnahmen aus Biographien, pointierte Monologe von Frauen, eher zum Lesen geeignet und zum Hö-

ren. Aber der Regisseur hat sich mit ansteckender Erfindungsfreude für jedes der 11 Selbstgespräche eine kleine Spielhandlung einfallen lassen. Er entwirft sinnfällig glaubwürdige Gestalten.

Bibiana Fuchs, Monika Hetterle, Nadja Reichardt, Ruth Reinecke und Ursula Werner brillieren (vorwiegend) in einem schwarzen Gaze-Käfig vor einer Bildergalerie (Ausstattung Kerstin Reisch). Sie werden vorgeführt wie Ausstellungsstücke eines Museums. Ein verblüffender Akzent. Denn Vergangenheit ist ohne Zweifel nicht gemeint. Indessen, mit dieser die Frauen verfremdenden Präsentation wird spielerisch kompensiert, daß sie durchweg eigenwillige, gar

etwas verschrobene Typen sind. Die gesellschaftlichen Umstände scheinen sie zu beuteln, stets ist da aber auch irgendwie ein Knick in der Seele, den sie sich selbst zugefügt haben. Und mit dem sie sogar ganz gut auszukommen wissen. Denn man muß ja leben. Und sie leben, geben Zeichen, kritisch, selbstbewußt, ironisch, hintersinnig: von sexueller Lust und Verschrobenheit, von politischer Nachdenklichkeit und Nonchalance. Immer geht es weiter. Irgendwie. Auch ohne kalten Krieg beispielsweise. Das Leben ist unbesiegbar.

Ein heiter nachdenklich stimmender Abend. Dafür herzlicher Beifall.

Diese Hundertprozentigen - sie erfüllten ihre Aufgaben immer hundertprozentig. Sie waren die Systemmusterschüler. Nach dem Motto des senilen Richard Wagner -„Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun “ - dienten sie der Sache. Nun gut, die Sache ist passe. Nur die Prozentrechnung ist geblieben. Neu ist: man kann auch mit 100 Prozent NICHTS machen. Zum Beispiel Kultur... Sie wurzelt zwar nicht im Geld, wie manche glauben, aber sie braucht