nd-aktuell.de / 16.06.2003 / Politik
Wer räumt die Schlachtfelder?
Verhandlungen über humanitäres Völkerrecht
Dr. Wolfgang Kötter
Am Europäischen Sitz der Vereinten Nationen in Genf verhandeln ab heute Regierungsexperten aus rund 60 Staaten unter Vorsitz von Botschafter Rakesh Sood aus Indien über eine Vervollkommnung des humanitären Völkerrechts, das sich dem Schutz von Zivilisten in kriegerischen Auseinandersetzungen widmet.
Seit 20 Jahren existiert ein Abkommen über Verbote und Anwendungsbeschränkungen für Waffen, die »unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken«, auch »inhumane Waffen« genannt. Der Rahmenvertrag besteht aus mehreren Protokollen, die den Einsatz von Splitterwaffen, Landminen, als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnte Sprengkörper (booby traps), Brandwaffen und Blendlaserwaffen verbieten oder einschränken.
Der Bulgare Peter Kolarow leitet nun eine Verhandlungsgruppe für ein weiteres Vertragsprotokoll über zurückgelassene Explosionskörper. Der Entwurf bestimmt unter anderem die Verantwortlichen für die Räumung der Kriegsschauplätze von Restmunition, Granaten, unexplodierten Bomben und Blindgängern. Die kämpfenden Parteien sind zu höchstmöglichen Schutzmaßnahmen gegenüber Unbeteiligten vor zurückgelassenen Explosionskörpern aufgefordert. Betroffenen Ländern soll das Recht auf Hilfe bei der Opfer-Rehabilitation zugesprochen werden. Obwohl das Mandat der Verhandlungsgruppe ausdrücklich die Rechtsverbindlichkeit des künftigen Protokolls vorsieht, haben die USA bereits die Ablehnung jeglicher bindenden Verpflichtungen signalisiert.
Minenlobby sträubt sich
In einer weiteren Gruppe koordiniert der niederländische Botschafter Chris Sanders Beratungen über die Ausdehnung der Anwendungsbeschränkungen für Landminen (Ottawa-Konvention) auf Anti-Fahrzeugminen, da diese, wie sich immer wieder zeigt, nicht zwischen zivilen und Militärfahrzeugen unterscheiden können. Sie werden auch bewusst gegen Zivilisten eingesetzt, indem etwa Straßen unbefahrbar gemacht werden, um die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu verhindern. Ein Mandat zu Vertragsverhandlungen für diese Gruppe kam allerdings wegen des Widerstands durch die Minenlobby nicht zustande. Dabei drängen Minengegner in aller Welt auf ein Totalverbot wie auch auf die Ächtung von Streubomben.
Diese »Clusterbomben« gehören zu den furchtbarsten Waffen. Ihr Einsatz verstößt zwar rein rechtlich nicht gegen geltende Verträge. Sobald sie sich allerdings gegen Zivilisten richten, wäre das eine Verletzung der Genfer Protokolle zum Schutz der Zivilbevölkerung. Die Ärzteorganisation IPPNW verurteilt den Einsatz von Streubomben grundsätzlich, da sie zur »Kategorie der heimtückischen Waffen« zählten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat vorgeschlagen, zumindest den Einsatz über Wohngebieten zu ächten. Gegenwärtig produzieren mindestens 20 Staaten Streumunition, über 30 haben sie in ihren Arsenalen. Die USA und Großbritannien setzten sie zuletzt im Irak-Krieg ein. Es handelt sich um Geschosse, die als Bomben abgeworfen, aber auch von Haubitzen oder mit Raketen verschossen werden können.
Tückische »Bomblets«
Zum Einsatz kommen sie vor allem gegen Truppenansammlungen, Kolonnen und zur Bekämpfung von Panzerverbänden, treffen aber häufig auch jahrelang nach Ende der Kämpfe die Zivilbevölkerung. Streubomben öffnen sich noch in der Luft und verbreiten über eine Fläche von der Größe eines Fußballfelds bis zu 2000 »Bomblets«, die kaum die Größe von Cola-Dosen haben. Manche explodieren beim Aufprall auf dem Boden, doch rund zehn Prozent verwandeln sich praktisch zu Landminen mit langer Lebenszeit und einem Zündmechanismus, der bei der geringsten Berührung reagiert. Hunderte Splitter können dann Menschen noch in 150 Metern Entfernung wie Gewehrkugeln töten. Im Irak-Krieg setzten die USA-Truppen erstmals die CBU-105 (Cluster Bomb Units) ein. Sie bestehen aus zehn an Fallschirmen niedergehenden Kleinbomben, in denen wiederum je vier von Hitzesensoren gesteuerte Sprengsätze enthalten sind. Nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF sind in Irak auch zwei Monate nach Beendigung der Kämpfe immer noch Hunderttausende Kinder durch Minen und Blindgänger bedroht. Hat die freigesetzte Submunition doch häufig die gleiche leuchtend gelbe Farbe wie die von den USA abgeworfenen Lebensmittelpakete oder ähnelt Spielzeug.
Organisationen wie Human Rights Watch und die Landminenaktion begrüßen die Genfer Verhandlungen über zurückgelassene Explosionskörper zwar, kritisieren aber, dass ein Verbot oder zumindest ein Moratorium zum Einsatz von Streubomben nicht zur Diskussion stehen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/36933.wer-raeumt-die-schlachtfelder.html