- Kultur
- „Moviemento“: Bertoluccis „Vor der Revolution“
Kursänderung um 360 Grad
An viele Filme fühlte ich mich erinnert, als ich Bertoluccis „Vor der Revolution“ aus dem Jahre 1964 vor wenigen Wochen sah: Fellinis „La dolce vita“ (1959), der einen Blick auf das sinnentleerte Leben und Treiben der römischen High-Society Ende der fünfziger Jahre wirft. An die stets tragisch endenden Liebestheoriefilme von Godard wie „Außer Atem“, „Die Geschichte der Nana S.“ oder „Die Verachtung“, und einige Szenen des Films gleichen den neorealistischen Bildern de Sicas und Rossellinis. Bertolucci arbeitet wie Godard mit literarischen Anspielungen und Zitaten. Der Titel ist eine Anspielung auf eine Äußerung Talleyrands: „Wer die Jahre vor der Revolution nicht erlebt hat, kann nicht verstehen, was die Süße des Lebens ist“ Die feierliche Opernschlußszene sowie die Parallelität von Namen und Personen erinnern an die Welt von Stendhals „Die Karthause von Padua“, deren Bewohner feierlich den Untergang einer glanzvollen Epoche zelebrieren und einem Leben der Langeweile entgegen sehen. Fellinis Protagonisten )iaben sich dem öden Schicksal bereits unterworfen, Bertoluccis Held Fabrizio, ebenfalls ein Bürgersohn, versucht sich noch von seinem Milieu
abzunabeln. Mit der marxistischen Alternative, die er von seinem Freund, dem kommunistischen Volksschullehrer Gesare, angeboten bekommt, kokettiert Fabrizio jedoch bloß. Er geht eine kurze und heftige Liebesbeziehung mit seiner Tante Gina ein, ist ihrem Radikalismus aber in keiner Weise gewachsen, und zieht sich wieder zurück. Die Orientierungslosigkeit nicht ertragend, kehrt Fabrizio in den Schoß der bürgerlichen Familie zurück.
Bertoluccis Sicht auf Fabrizio ist realistisch und schonungslos. Fabrizios zaghaften Ausbruchsversuche, setzt der Regisseur adäquat in Szene: plötzliche Brüche, Überblendungen und manchmal schweift die Kamera wie Fabrizios Monologe ins Unendliche ab, die 360 Grad Schwenks entsprechen der moralischen Kursänderungen des Protagonisten, dennoch wird Bertolucci nicht zum gnadenlosen Richters eines armen Bürgersöhnchen. Fabrizio könnte nämlich Bertoluccis Bruder sein, für seinen zweiten Film kehrte der Regisseur in seine Heimat Parma zurück, um „Parma meinem Vater, abzunehmen - den Königsmord zu begehen“.
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