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  • Kultur
  • Impressionen von den traditionsreichen Salzburger Festspielen, die unter neuem Direktorium in eine neue Ära aufbrechen

Nicht nur Jet-Set-Stars sollen künftig an der Salzach den Ton angeben

  • TIM SCHAFFRICK
  • Lesedauer: 4 Min.

„Festspiele? Dös kann sich unsereins doch überhaupt net leisten!“ klärt mich eine ältere Frau im Stra-ßencafS auf. 25 Dienstjahre habe sie auf dem Buckel und erhalte nun 8 000 Schilling Rente. „Do is nix drin mit den teuren Karten.“ (Eine Opernkarte im Parkett kostet 3 600 öS). „Bei uns, da leben nur die Politiker gut!“ ereifert sich ein Mann am Nebentisch, der Kreis der Aufmerksamen wird immer größer, von allen Seiten her äußert sich plötzlich ein nahezu klassenkämpferischer Unmut.

„Talking about a revolution sounds like a whisper“ singt Tracy Chapman vor begeistertem Publikum auf der traditionsreichen Bühne am Salzburger Domplatz, die eigentlich - seit mehr als 70 Jahren Festspielgeschichte - den Darstellern von Hofmannsthals „Jedermann“, dem „Spiel vom Sterben des reichen Manns“, vorbehalten ist.

Mit dem Ende der Ära Karajan und der Übernahme der Festspielleitung eines neuen Direktoriums (Görard Mortier als Intendant, Pe-

ter Stein als Leiter des Schauspiels) beginnt eine neue Ägide der Salzburger Festspiele.

Dies erklärt vielleicht auch die Einladung des 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, geistliches und weltliches Oberhaupt des tibetanischen Volkes, als Eröffnungsredner der Festspiele 1992. Der Dalai Lama erklärte vergnügt, daß er von dieser Art Musik und Schauspiel rein gar nichts verstünde, hielt dann aber ein überzeugendes Plädoyer für ,menschliches Mitgefühl und universelle Verantwortung als Grundlage des Glücks und des Friedens'. „Wir brauchen eine gezieltere Erziehung und Formung der inneren, geistigen Welt“, und bei diesem Prozeß könne ein künftig freies Tibet einen wichtigen Beitrag leisten.

Österreichs Politiker und Kulturfunktionäre lauschten gebannt, was der Friedensnobelpreisträger des epochalen Jahres 1989 ihnen zu sagen hatte, und versprachen ihm anschließend ihre volle Unterstützung in der Tibetfrage.

Weg von dem Image, Spiele der Mächtigen zu sein, die sich im Selbstzweck, Geld auszuschütten, erschöpfen; weg vom Diktat der Schallplattenfirmen und Medienindustrie; hin zu einer Demokratisierung und geradezu esoterischen Öffnung für ein kunstinteressiertes Publikum: Das ist erklärtes Ziel der neuen Leitung. Gerard Mortier ist ein cleverer Manager, und er stellt ein Programm für die nächsten drei Jahre vor, das neugierig macht. Manche - besonders Besitzer teurer Geschäfte - befürchten, andere wiederum hoffen dadurch auf eine mehr oder minder lautlose Palastrevolution.

Am wenigsten Hoffnung auf Innovatives erweckt Peter Stein in seiner neuen Funktion als Leiter des Schauspiels, welchem er - „im Sinne Max Reinhardts“ - durch Verdopplung von Neuproduktionen und Wiederaufnahmen eine größere Bedeutung beigemessen haben will. Denn Steins Inszenierung im pompösen Tempel der Salzburger Felsenreitschule ist traurig konventionell.

„Ich bin ein zunehmend militanter Konservativer, wenn es um. Theater geht“, so Stein in einem Interview. Und über seinen neuen Wirkungskreis Salzburg: „Ich finde hier eine provinzielle Geordnetheit, die nicht ohne Faszination ist für ältere Menschen wie mich.“ Dies erzählt schon sehr viel über seine Inszenierung des „Julius Caesar“*:

Geordnete Massenszenen auf 300 m 2 aus Griechenland importierter Marmorspielfläche, darauf die „besten Schauspieler deutscher Zunge“ (Stein) als tönende Togaträger. Dazu ein Heer von Statisten als brüllende Arbeitermassen mit roten Schals und blauen Mützen in Monumentalszenen, in denen alles an ,Ben Hur' erinnert, aber vom Zuschauer meilenweit wegbleibt.

Es gibt ein par schöne Momente, Effekte und Raumlösungen (wobei diese Reithalle zugegebenermaßen ein echtes Problem für ein sinnlich konkretes Theater ist) - doch, kurz gesagt: Steins keimfreie, marmorglatte, klinisch reine Ästhetik langweilt!

Bestimmt aber versöhnt diese Inszenierung manche durch kesse Absichtserklärungen Mortiers pikierte trachtentragende Salzburgerin sowie einige Mitglieder der Sponsorenorganisation.

Etwas interessanter, aber ähnlich bieder ist die deutschsprachige Erstaufführung von Stanislaw Wyspianskis „Wesele - Das Hochzeitsfest“ (1901) in der Inszenierung Andrzej Wajdas.

Die verschlüsselte Symbolik des Stücks beginnt manchmal auf polnische Traditionen und Gesellschaftsstrukturen neugierig zu machen; die Regie aber bleibt meistens Kunstgewerbe und mäßiges Stadttheaterniveau - auch schauspielerisch, obwohl hier ebenfalls zahlreiche Stars aus Wien und Berlin mitmischen. Allein Dagmar Manzel in der Rolle der Rachel ist wirklich toll.

Insgesamt Progressiveres läßt sich da sicherlich von den Musikern und Musik-Theaterleuten berichten: Mortier setzt sich vehement für Musik des 20. Jahrhunderts ein, dieses Jahr liegt der

Schwerpunkt auf den Werken von Leos Janäcek und Olivier Messiaen. Von beiden Komponisten* wird auch eine Oper aufgeführt: rt Aus einem Totenhaus“, inszeniert von Grüber, dirigiert von Abbado, und „Saint Francois /d'Assise“, inszeniert von Peter Seilars, musikalische Leitung: Esa-Pekka Salonen. Weitere Namen wie Pierre Boulez (und das Ensemble Intercontemporain), Christoph Dohnänyi und Simon Rattle lassen hoffen, daß auf höchstem künstlerischem Niveau moderne und fortschrittliche Ideen nach Salzburg kommen.

Zumindest teilweise werden sich das „Großkopferte'', ganz konservative Publikum sowie einige Jet-Set-Stars nicht mehr ganz so behaglich fühlen wie zu Zeiten Karajans und einem kunstinteressierten, vielleicht etwas jüngeren Publikum Platz machen.

Ob die ältere Frau aus dem Strä-ßencafe' sich in Zukunft Festspielkarten leisten wird können, erscheint allerdings äußerst zweifelhaft.

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