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  • Kultur
  • „Inka - Peru“ eine historische Ausstellung mit Tongefäßen und Skulpturen im Berliner Haus der Kulturen der Welt

Auch die mächtigen Moche schätzten den Lustgewinn

  • CLAUDIA WAHJUDI
  • Lesedauer: 4 Min.

Braun-beige gefärbte Häuser, in deren Inneren religiöse Riten vollzogen werden, Paare beim Liebesspiel und Indios, die berauschende Getränke in großen Schüsseln anrühren - in der Ausstellung „Inka -Peru“ zeigen Tongefäße und Skulpturen ganz unterschiedliche Szenen südamerikanischen Lebens aus vorspanischer Zeit. Mit etwa vierhundert Leihgaben aus internationalen: Sammlungen stellt das Haus der Kulturen der Welt derzeit „3 000 Jahre indianische Hochkulturen“ vor, wie der Untertitel des gewaltigen Vorhabens lautet. Die Gesellschaft, die ihren Sitz in der ehemaligen Kongreßhalle im Tiergarten hat, versteht sich als Forum für Angehörige anderer Völker, für die im Berliner Exil lebenden „communities“: Zeitgenössische Kunst und Musik der fünf Kontinente bilden die Schwerpunkte des Programms. Den Rückblick auf die indianischen Kulturen gestaltet das HdKW deshalb auch nicht mit

: pädagogischen Ensembles, wie sie in VölkerkundemtiSeen zu sehen sind, sondern präsentiert die Expo-

i nate als selbständige Kunstwerke, um im Jubiläumsjahr der „Entdeckung“ Amerikas zu veranschaulichen, welche Gewalt die europäischen Eroberer den Landeseinwohnern angetan haben. Keramische Gefäße dominieren

. die sorgfältig ausgeleuchteten Vitrinen. Die diffizilen Tonformen erzählen von indianischem Alltag, ohne über alle Einzelheiten endgültige Auskunft zu geben. So zeugt ein Becher in Gestalt eines nackten, gefesselten Gefangenen von den Demütigungen, die das Volk der Möche, das im ersten halben Jahrtausend nach Christus die Nordküste Perus mit Pyramiden-Anlagen und Bewässerungssystemen beherrschte, seine Gegner erfahren ließ. Doch welchem Stamm der Krieger angehört, ist nicht zu erfahren. Lediglich seine Gesichtsbemalung und die durchbohrten Ohren zeigen, daß es sich um eine ranghohe Person handelte. Auch

andere Gefäße der Moche geben der Wissenschaft noch Rätsel auf: In einem gesonderten Abteil dokumentiert die Ausstellung den Streit um die Bedeutung erotischer Skulpturinen auf den tönernen Behältnissen. Denn diese stellen Sexualpraktiken dar, die allein dem Lustgewinn dienlich sind - die gängigen Erklärungen, es handele sich bei solchen Fundstücken um Gegenstände eines Fruchtbarkeitsritus, scheinen hier nicht zu greifen.

Obwohl bündige Schautafeln die notwendigen Erklärungen liefern, präsentiert die Ausstellung die Objekte in einer mystischen Atmosphäre, die vor allem von den südamerikanischer Tempelarchitektur nachempfundenen Trennwänden erzeugt wird. Mit der geheimnisvollen Aura verhindern die Organistoren den „kolonialistischen Blick“, der glauben macht, eine fremde Kultur verstanden zu haben. Gleichzeitig wahrt „Inka - Peru“ die erforderliche Nüchternheit. Der Rundgang folgt der Chronologie: Er beginnt im frühen Horizont, zwischen 1 300 und 400 v. Chr., bei den älteren Vertretern der keramischen Periode, bei den Chavin, Paracas und Chupisnique. Den Arbeiten der mächtigen Moche folgen die Skulpturen ihrer Zeitgenossen, der Recuay, die im nördlichen Hochland Perus in Nachfolge der Chavjn Kunstwerke aus Stein schufen. Ihre knapp meterhohen, hockenden Wesen sind von gedrungener Gestalt. Ein schlitzförmiger Mund verleiht den flächigen Gesichtern einen verschlossenen Ausdruck. Dem europäischen Auge vertraut dagegen wirken die Holzfiguren der Chimu, die in der späten Zwischenperiode die Nordküste bewohnten. Sie tragen reich verzierte Kopfbedeckungen, heben ihre Arme, als ob sie schüchtern winken wollten, und blicken den Betrachter mit ihren schwarzen Knopfaugen direkt an. Der belgische Comic-Zeichner Hergö integriert eine

dieser Gestalten in seine Serie „Tim und Struppie“.

Um den Schein von Edelmetallen zu imitieren, färbten die Chimu in Ermangelung des echten Materials ihre Tonschalen dunkel. Metallverarbeitung hatte seit den Chavin eine lange Tradition. Ihren Höhepunkt erfuhr sie schließlich bei den Inka, die seit dem 15. Jahrhundert das ganze Land beherrschten. Sie verehrten Gold und Silber als Verkörperung von Sonne und Mond. Ihre Fertigkeiten im Schmiedehandwerk und ihr Brauch, das väterlicher Gut ehrenvoll zu vermehren, sollte ihnen jedoch zum Verhängnis werden. Ganze Goldplatten rissen die Spanier von den Mauern der Tempel herunter.

Zwei Abteile sind allein der Metallkunst gewidmet, zwei andere einem weiteren Kapitel peruanischer Kulturgeschichte, den Textilund Federarbeiten. Tücher bis zu 40 Metern Länge gaben die Paracas-Nasca ihren Toten ins Grab bei; die Inka wiederum sorgten mit strikten Kleidervorschriften dafür, daß sich Status und geographische Herkunft des Trägers peinlich genau an seinem Gewand ablesen lie-ßen. Mit diesen Sonderkabinetten fordert die Ausstellung ein zweites /Mal respektvolle Distanz. 3 000 Jahre indianischer Kulturen lassen sich trotz des Abstands keinesfalls in Bedeutung erfassen. Religiöse und politische Zusammenhänge vermittelt die Ausstellung darum außerhalb der Präsentationsfläche: in zwei Reportage-Videos, die vergangene Architektur und gegenwärtige Lebensbedingungen vorstellen, mit Lesungen und Vorträgen und schließlich in dem über vierhundert Seiten starken, prächtig bebilderten Katalog.

„Inka - Peru. 3 000 Jahre indianische Hochkulturen“ im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles Allee 10. Bis 30. August, Di-So 10-20 Uhr, Führungen Di-Fr jeweils 18.30 Uhr, Katalog 448 Seiten, 48.- DM

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