Private Volksversicherung für alle

Zahnbehandlungen sollen künftig nicht mehr solidarisch finanziert werden

  • Michael Gregori
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

In den Verhandlungen mit der Regierungskoalition will die Union die Privatisierung von Gesundheitsrisiken durchsetzen - mit dem Pilotversuch Zahnversicherung. Ziel ist die Ausgliederung klar abgrenzbarer Leistungsblöcke aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die private Absicherung der Kosten einer Krankheitsbehandlung ist nichts Neues. In Deutschland bietet rund ein halbes Hundert private Versicherungsfirmen ihre Dienste und Tarife für Krankenversicherungen an. Sie hatten im Jahr 2000 insgesamt 7,5 Millionen Vollversicherte und über private Zusatzversicherungen noch einmal 7,5 Millionen gesetzlich Versicherte unter Vertrag. Der Rest der 51Millionen Versicherten zusammen mit ihren Mitversicherten tummelte sich in der gesetzlichen Versicherung. Zum einen dürfte der Grund dafür ein Einkommen sein, das unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt. Zum anderen liegt es vielfach auch daran, dass die Betreffenden auf Grund der Möglichkeit ihre Familienangehörigen kostenfrei mitzuversichern, freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geblieben sind. Warum wollen nun partout nicht alle, die das politische Sagen haben, den von der Union bevorzugten Weg ins private Schlaraffenland befolgen? Zunächst scheint es egal, ob der Mensch einen Betrag in die gesetzliche oder in die private Versicherung einzahlt. Aber selbst die Herzog-Kommission der Union ist sich bewusst, dass das Vorhaben in diesem Umfang Neuland ist, und empfiehlt, anhand der Zahnversicherung zu prüfen, ob die private Versicherungswirtschaft dieser Aufgabenstellung sachgerecht nachzukommen imstande ist. In der Tat könnten sich hier gravierende Probleme abzeichnen. Die Privaten betrieben bisher nämlich eine gründliche Risikoauswahl unter dem Motto: »Die guten zu uns, die schlechten zur Gesetzlichen Krankenversicherung.« So ist auch aus Sicht der Herzog-Kommission ein Kontrahierungszwang, also die Pflicht zur Annahme eines Versicherungsvertrages, einzuführen. Ebenso ist die Abhängigkeit der Höhe der Beiträge vom Geschlecht und vom Eintrittsalter abzukoppeln, bei den Privaten ist dies ein für die Kostendeckung unverzichtbares Prinzip. Das soll und will die private Versicherungswirtschaft mit 7,50 Euro Beitrag pro Monat abdecken und zwar aufwanddeckend sowie gewinnorientiert. Es gibt unter den Experten aber bereits viele Zweifel daran. Bisher wurde ein Tarif der privaten Versicherer geschlossen, wenn er in der Summe der Beitragszahler und ihres Risikopotenzials ausgereizt war. Dann wurden neue, natürlich beitragsangepasste Tarife eröffnet. So hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass auch in der Privatversicherung im Jahresdurchschnitt mindestens eine zwei- bis dreiprozentige Beitragserhöhung erfolgte. Aktuell kostet die Versicherung einer Zahnbehandlung inklusive des Zahnersatzes 25 bis 70 Euro Beitrag monatlich. Hinzu kommt der Selbstbehalt von 10 bis 40 Prozent oder eine Selbstbeteiligung (eine Zusatzpolice Zahnersatz für GKV-Versicherte ist momentan unter 7,50 Euro kaum zu haben). Wartezeiten von bis zu drei Jahren müssen einkalkuliert werden, ehe die Leistungen in vollem Tarifumfang bezahlt werden. Der Zahnarzt lässt sich das in der Regel nach der GOZ (Gebührenordnung der Zahnärzte; ein gesetzlich verankerter Tarif für Privatbehandlung) bezahlen, wobei er mehr als das Doppelte erstattet bekommt als bei der GKV. Hier müsste also auch wieder eine Sonderregelung her. Folgerichtig erteilte die Unionsführung in Bad Saarow auch den Auftrag an die Herzog-Kommission zu prüfen, ob das Ganze im Rahmen der GKV machbar ist. Diesen Erkenntnisstand hatte die Regierungskoalition offensichtlich schon bei der Festlegung, das Krankengeld privat finanzieren zu lassen - aber innerhalb der GKV. Hier zeigen sich eben wieder deutlich die Vorteile einer solidarischen Finanzierung, die nicht zusätzlich auf Gewinn orientiert sein muss. Die Probleme gehen aber noch weiter. Im Rahmen der privaten Versicherung sind keine Vertragsärzte tätig, so dass jeder seinen Behandlungsvertrag mit dem Privatarzt aushandeln darf oder muss. Auch hat sich in den 90er Jahren auf dem Zahnsektor eine gewisse Gesundheitsprophylaxe durchgesetzt. Bei den Privatversicherern ist bisher ein Bonussystem im Sinne der Herzog-Kommission wirksam, das die Patienten mit Beitragsrückzahlungen belohnt, wenn sie im Kalenderjahr keine Arztrechnungen einreichten. Dieses hat bisher in der Privatversicherung nicht unbedingt zur Gesundheitsprophylaxe beigetragen. Natürlich bietet das bisherige private Versicherungssystem im Sinne der Union die Möglichkeit, mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit über die gewünschten abzusichernden Leistungen und Eigenbeteiligungen zu treffen. Das kann so weit gehen, gar keine Zahnversicherung abzuschließen. Aber dem will die Kommission durch die Pflicht zu dieser Versicherung für alle GKV-Mitglieder vorbauen. Auf Grund der vielen offenen Probleme könnte der Kompromiss so aussehen, dass Krankengeld und Zahnersatz zwar privat gezahlt werden, aber vorerst im Rahmen der GKV. Später könnte man immer noch darüber nachdenken, diese Ve...

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