Sieg des Hinterns über den Geist

Sport hat keine Lobby bei der »Gesundheitsreform«

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 2 Min.
Die momentane Umtriebigkeit der Gesundheitspolitik sprengt die bisherigen Grenzen von Aktionismus; der Inhalt lässt einen ebenso schaudern wie die vermeintliche Ernsthaftigkeit. Gerade läuft im Gesundheitsausschuss des Bundestages eine Anhörung: 130 Sachverständige und Lobbyisten mit 560 Aktenordnern über vier Tage. Der Sieg des Hinterns über den Geist ist programmiert. Ein Professor widmete sich der Querschnittsfrage: »Soll ein herzkranker Patient Vitamin E nehmen oder nicht?« Aber eigentlich geht es ja nicht um Details, sondern um alles. Weil »alles auf den Prüfstand« müsse, wie es im Parlaments-Rotwelsch so schön heißt. Besser: fast alles. Denn beim Thema Prävention herrscht Funkstille. Der Breiten- und Gesundheitssport spielt in der Gesundheitspolitik der großen Koalition aus SPD, Grünen und CDU/CSU faktisch keine Rolle. Solch Politik sieht sich in trauter Gemeinsamkeit mit den Krankenkassen. Per Gesetz könnten die pro Versicherten jährlich zwar auch nur ganze 2,62 Euro (!) für derartige Prävention ausgeben. Sie machens aber ohnehin nur zur Hälfte. Das wird so bleiben. Denn Gesundheits-Prävention durch Sport, Spiel, Bewegung ist zwar, da sind sich alle einig, für die Gesundheit des Einzelnen und die der Gesellschaft gut - nicht aber fürs Geschäft mit der Krankheit. Nicht nämlich für eine bestimmte Pharma-, auch nicht für eine bestimmte Ärztelobby, gegenwärtig wohl auch nicht für die Kassen. Der Abwärtstrend der Leistungs- und Gesundheitsparameter der Menschen sei alarmierend, jammern Politiker. Und die 120 Milliarden Euro fürs Gesundheits-, präziser: Krankheitswesen seien viel zu hoch. Aber keiner dieser Politiker fordert ultimativ, dass mal 150 bis 200 Millionen Euro in eine dauerhafte, praktische wie plakative Gesundheitssport-Kampagne gesteckt werden. Und keine Krankenkasse ist bereit, auf breiter Basis ein Beitragsrückerstattungs- oder Bonussystem für aktive Freizeitsportler zu testen. Stattdessen wird unter der Hand geargwöhnt, dass etwa der Deutsche Sportbund zu einflussreich und zu fett werden könnte. Es wird gebarmt, dass das Geld, das bei ihm in die Finanzierung neuer Übungsleiterstellen flösse, ja dann an anderer Stelle für Arbeitsplätze fehlte. Allerdings lässt sich für diese Gesellschaft wahrlich Schlimmeres vorstellen als mehr ordentlich bezahlte Übungsleiter für den Gesundheits- und Freizeitsport. Beispielsweise eine so genannte Gesundheitsreform, die das noch nicht mal in Erwägung zieht.
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