Klage gegen Türkei in Strasbourg

Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens verlangt

  • Martin Höxtermann, Freiburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Fall der Deutschen Andrea Wolf, die im Oktober 1998 bei einem Gefecht zwischen kurdischer PKK und türkischer Armee im Grenzgebiet zum Irak getötet wurde, beschäftigt nun auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg.
Unser Ziel ist eine Verurteilung der Türkei wegen der Vertuschung von Kriegsverbrechen und die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Verantwortlichen des Massakers vom 28. Oktober 1998«, sagt Oskar Schmid. Er gehört der »Internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Todesumstände von Andrea Wolf und weiteren Kämpferinnen in Kurdistan« (IUK) an, die gestern in Freiburg die Presse informierte. Um ihr Ziel zu erreichen, hat die IUK Klage wegen Mordes und Verbrechens gegen die Menschlichkeit sowie wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention in Strasbourg eingereicht.
Vor mehr als vier Jahren hatte der kurdische Sender Med-TV den Tod der 33-jährigen Münchnerin Andrea Wolf gemeldet, die 1996 Deutschland verlassen hatte, um sich der PKK anzuschließen. »Sie ist von der türkischen Armee verhört, misshandelt und anschließend ermordet worden«, sagt die türkische Rechtsanwältin Eren Keskin. Sie erstattete im September 2000 im Auftrag der Mutter Lieselotte Wolf und der IUK in Istanbul Strafanzeige gegen die Verantwortlichen. Ohne Erfolg. »Der Rechtsweg in der Türkei ist inzwischen erschöpft, denn das Schwurgericht in Ercis, bei dem wir Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens eingelegt haben, hat unseren Widerspruch am 28. Mai ohne jede Prüfung und Begründung zurückgewiesen«, erläuterte Keskin gestern auf der Pressekonferenz. »Auch unser Vorschlag, das Grab zu öffnen und die Leiche zu untersuchen, wurde von der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Catak abgelehnt.«
Nun soll der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Licht in das Dunkel bringen. Dass durchaus Aussicht auf Erfolg der Individualbeschwerde besteht, die das IUK im Auftrag der Mutter bereits am 14. Januar 2003 eingereicht hatte, erläuterte der Freiburger Rechtsanwalt Jörg Arnold, der die 42 Seiten lange Beschwerde verfasst hat. »Wir sehen zum einen Artikel2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt, der das Menschenrecht auf Leben schützt. Zum anderen machen wir geltend, dass bis heute nicht aufgeklärt ist, was mit Andrea Wolf in der Türkei geschehen ist, es sich also um ein gewaltsames Verschwindenlassen in Zusammenhang mit einer unterbliebenen Aufklärung handelt, was eine Verletzung von Artikel 3 darstellt.«
Sieben Zeugenaussagen kann die IUK anführen, die bestätigen, dass die Münchnerin von türkischen Soldaten misshandelt und hingerichtet wurde. »Allerdings wurde ein Großteil der Zeugen von den türkischen Behörden unter Druck gesetzt und hat seine Aussage relativiert«, berichtete Arnold. Dennoch habe man noch immer hieb- und stichfestes Beweismaterial. Dies gelte vor allem für eine Ohrenzeugin der Hinrichtung, die von der IUK im Irak befragt wurde und die auf Wunsch auch nach Strasbourg reisen könnte, um dort auszusagen. Frühestens im Herbst sei mit einer Entscheidung des Gerichtshofs zu rechnen.
Scharfe Kritik übten Erin Keskin und die IUK an der Bundesregierung. »Die Abweisung der Klage durch das türkische Schwurgericht verstärkt den Verdacht, dass der NATO-Partner Türkei seit Jahren ein Kriegsverbrechen vertuschen will und dabei bisher von Seiten der rot-grünen Bundesregierung und der deutschen Justiz keinen ernsthaften Widerspruch fürchten muss - obwohl die Ermordete eine deutsche Staatsangehörige war«, meint Oskar Schmid vom IUK.

Weitere Infos unter: www.libertad.de/archiv/andrea
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