War das Maß voll?

Frank Spieth

  • Lesedauer: 3 Min.
Der Thüringer DGB-Landeschef ist nach 36 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten.
ND: Warum haben Sie die SPD verlassen?
Spieth: Es gibt drei Anlässe, den völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg, den Einstieg in die Privatisierung der Alterssicherung und nun die Agenda 2010 und das, was ihr folgen wird, vor allem bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.

Davor haben Sie schon lange gewarnt.
Die Riesterrente war der sozialpolitische und ordnungspolitische Sündenfall, der mit der Agenda 2010 seine Fortsetzung erfährt. Damit und mit der auch in der Krankenversicherung geplanten Leistungsausgrenzung hat der Sozialabbau allerdings seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Künftig steht die Frage, ob Arbeitgeber überhaupt noch an der Finanzierung beteiligt werden, wenn beispielsweise das Kopfpauschalenmodell in der Krankenversicherung greift.

Erpressen die Neoliberalen die Politik?
Die Erpressungen könnten nur begrenzt wirken, wenn die Medien nicht in einer noch nie da gewesenen Gleichschaltung die gleiche Position vertreten würden. Seit Wochen wird kaum noch eine andere Meinung als die der Liberalen verbreitet.

Eine Konzertierte Aktion gegen den Sozialstaat?
Leider. Im »Spiegel« ist zu lesen, dass auch noch das Grundgesetz genau an der Stelle geopfert werden soll, wo es mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist, nämlich beim sozialen Rechtsstaat. Der wird praktisch zum Abschuss freigegeben, weil das die letzte Bremse im Land ist. Wenn sie dann noch die Gewerkschaften klein kriegen, die sich als letzte große Organisation dem Neoliberalismus entgegen stellen, hat man klar Schiff für alles, was man hier an Sauereien beim Umbau vorhat.

Mit der Erfurter Erklärung haben Sie 1997 eine andere Politik gewollt ... Wurden Sie enttäuscht ?
In den ersten Monaten 1998 hat die Regierung Schröder eine gute Politik im Sinne ihres Wahlkampfprogramms betrieben. In zeitlicher Nähe zum Abgang von Oskar Lafontaine erfolgte dann aber ein Kurswechsel um 180 Grad. Als später die Wirtschaftsverbände ihre Unterstützung für die CDU signalisierten, erlebten wir eine wundersame Resozialdemokratisierung. Das ließ mich hoffen. Fünf Monate danach, als das mediale Feuerwerk gegen Rot-Grün zu wirken begann und die Agenda 2010 verkündet wurde, gab es eine erneute Wende rückwärts.

Könnten Sie als Parteimitglied nicht mehr ändern?
Dann wäre ich nicht ausgetreten. Ich habe das ja versucht. In den Veranstaltungen zur Agenda 2010, bei denen ich war, selbst bei Konferenzen mit Kreisvorsitzenden, waren mindestens 70 Prozent dagegen. Wenn diese Mehrheiten durch das Führungspersonal zu anderen Entscheidungen umgedeutet werden, ist das Ignoranz gegenüber der Basis. Die Regierung ignoriert ihr eigenes Wahlprogramm und die Wählerentscheidung. Diese ungeheure Ignoranz ist für mich von gleicher Qualität wie die des SED-Politbüros selig.

Kann die SPD im kommenden Jahr stärkste Partei in Thüringen werden?
Wenn sie sich zu ihren Grundwerten bekennt und sie glaubhaft auch durch ihr Führungspersonal vertritt, hat sie sicher eine Chance. Eine SPD, die im Kern eine Kopie christdemokratischer Politik betreibt, sie an manchen Stellen sogar noch überrundet, hat kaum eine Chance.

Fragen: Peter Liebers
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