Schulterschluss mit knirschenden Zähnen

Beim EU-USA-Gipfel sollen die transatlantischen Streitigkeiten begraben werden

Zwei Monate nach Ende des Irak-Krieges mit seinen transatlantischen Zerwürfnissen kommen führende Vertreter der EU und der USA heute zum jährlichen Gipfel in Washington zusammen.

Susan Sontag, US-amerikanische Schriftstellerin und Kulturtheoretikerin, hat nicht viel Hoffnung angesichts des zur Politik erklärten »religiösen Irrsinns« im Weißen Haus. Sie sieht eine wachsende kulturelle Kluft zwischen Europa und den USA, wie sie gestern in ihrem ersten Interview seit Zuerkennung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels erklärte. Es gebe eine deutliche »Divergenz der Werte« und »in der Haltung zur Gewalt«. Aber da bemühen sich die EU-Politiker ernsthaft. Mit den jüngsten Beschlüssen der Union, notfalls vermeintliche Bedrohungen auch mit präventiven militärischen Schlägen zu begegnen, hat man sich ganz auf den Weg der Bush-Dokrtrin begeben. Auch gegenüber Iran erinnert die Schärfe der Wortwahl an die Washingtoner Diktion. So wird jenseits des Großen Teichs schon mal der »neue Realismus« der Europäer gelobt. Kein Wunder, dass man in Brüssel davon ausgeht, die Spannungen der letzten Monate beim heutigen Gipfel abbauen zu können. Zumal man sich im Nahen Osten mit der gemeinsam erstellten »Roadmap« auf dem richtigen Weg zum Frieden glaubt. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi jedenfalls zeigt sich überzeugt, dass der Gipfel die Stärke der Partnerschaft widerspiegeln werde. Viel Zeit steht dafür aber nicht zur Verfügung. Nur knapp drei Stunden sind angesetzt, um die Risse in der transatlantischen Brücke zu flicken. Vergangenheitsbewältigung in Sachen Irak ist dabei nicht angesagt. In einer gemeinsamen Erklärung gegen die Verbreitung von ABC-Waffen wollen beide Seiten vielmehr ihre Politik gegen »die neuen Gefahren« abstimmen. Ein Knackpunkt bleibt hier allerdings die künftige Rolle der Vereinten Nationen; ganz ohne UNO wollen vor allem Paris und Berlin dann doch nicht in die Neue Weltordnung ziehen. Rückzieher jedoch nicht ausgeschlossen. Ob die EU-Staaten dem Wunsch der Bush-Regierung folgen, und Teheran mit Sanktionen und dem Abbruch der Verhandlungen über ein Handelsabkommen drohen, ist ebenfalls noch offen. Überhaupt bergen Handelsfragen möglicherweise sogar den größten Sprengstoff. Hier will man wie bei der Terrorismus-Bekämpfung mit gemeinsamen Initiativen Zeichen setzen. Immerhin stellen die Wirtschaftsräume der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten mit 650 Milliarden Euro fast die Hälfte des Welthandels. Ob allerdings die ungelösten Probleme etwa bei den EU-Agrarsubventionen, in der Frage genetisch veränderter Lebensmittel oder in der Klimapolitik auf dem Kurzgipfel wirklich gelöst werden können, darf bezweifelt werden. Wenige Stunden vor dem Treffen hat denn auch USA-Präsident George W. Bush den Druck auf die EU wegen ihres Widerstands gegen Gen-Nahrung erhöht. Bei der Eröffnung einer Biotech-Konferenz schmetterte er alle Bedenken als »unbegründete und unwissenschaftliche Ängste« ab und warf den Europäern vor, so den Hunger in Afrika zu verschlimmern. Zuvor waren Gespräche zwischen den USA und der EU in Genf gescheitert. Nun will Washington vor der Welthandelsorganisation (WTO) klagen. Doch auch in den USA selbst gibt es scharfe Kritiker von Genfood. Bush wolle nur den mächtigen Agrarkonzernen dienen, denen Hunderte Millionen Dollar durch die Abschottung Europas entgingen, erklärte First-Food-Direktor Peter Rosset. Es gehe nicht darum, hungernden Menschen zu helfen, sondern Märkte für die großen USA-Konzerne zu sichern. Als Erfolg verbucht man in der Union ein neues Rechtshilfeabkommen, das die gerichtliche und polizeiliche Zusammenarbeit beschleunigen und vereinfachen soll und den Sicherheitskräften beider Seiten bei der Verbrechensbekämpfung z.B. Zugang zu verdächtigen Bankkonten gewährt. Vor allem aber wird in Brüssel darauf hingewiesen, dass beim heute zur Unterschrift stehenden Antiterrorismus-Abkommen die EU nach Artikel 13 die Auslieferung Verdächtiger verweigern kann, wenn ihnen in den USA die Todesstrafe droht. Zudem wird ausgelieferten Personen »das Recht auf ein gerechtes Verfahren« zugesichert, was das Recht auf ein »Urteil durch ein unparteiisches und ordentlich eingesetztes Gericht« einschließt. Spricht Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ähnlich wie ihr französischer Amtskollege von einer »verlässlichen Rechtsgrundlage«, reicht das Amnesty International nicht. Die Menschenrechtsorganisation drängt etwa auf ein ausdrückliches Verbot, Betroffene in Lager à la Guantanamo oder vor USA-Militärtribunale zu bringen. Doch werden die Europäer solche Gegensätze ebenso herunterspielen wie beim Streit um den Internationalen Strafgerichtshof. Zwar genießt die juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen vor diesem Tribunal für die EU offiziell höchste Priorität, doch musste man tatenlos zusehen, wie inzwischen fast 40 Staaten in bilateralen Abkommen USA-Bürgern Immunität zusicherten. Und als es jüngst im UNO-Sicherheitsrat um die Straffreiheit von USA-Soldaten mit Blauhelm ging, stimmten zwar Frankreich und Deutschland gegen Washington, die EU-Mitglieder Spanien und Großbritannien jedoch für eine Sonderregelung zu Gunsten der Supermacht. Auch Belgien knickte gerade bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern gegenüber dem massiven Druck Washingtons ein. Die USA, so Susan Sontag, seien ein Problem, weil sie derart mächtig sind. Und: »Inzwischen wollen die Amerikaner ja gar nicht mehr gemocht werden. Es ist ihnen egal,...

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