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»Agenda 2010« verfassungswidrig?

DGB-Gutachten: Arbeitslosengeld-Ansprüche der über 45-Jährigen geschützt

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.
Die in der »Agenda 2010« vorgesehene Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ältere von maximal 32 auf 18 Monate ist möglicherweise verfassungswidrig - sofern die Bundesregierung bei der geplanten geringen Übergangsfrist von zwei Jahren für die Ansprüche der heutigen Arbeitnehmer bleibt. Dies ergab ein im Auftrag des DGB erstelltes Rechtsgutachten, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach der Rechtsprechung des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes einen Eigentumsschutz nach Artikel 14 Grundgesetz genießt, hatte sich schon zuvor herumgesprochen. Dies betonte auch der vom DGB beauftragte Gutachter, Prof. Dr. Udo R. Mayer von der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Er erinnerte daran, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes 1984 von der Kohl-Regierung und »unter voller Zustimmung der SPD« verlängert worden war. Die Bezugszeiten bestünden so schon seit fast 20 Jahren. Ein heute 45-jähriger Arbeitnehmer habe also mehr als die Hälfte seines Berufslebens Beiträge geleistet, von denen er eine Absicherung im Alter erwarten durfte und bei denen er auch keinen Grund sah, sich privat abzusichern. Mayer betonte, eine verkürzte Bezugsdauer bedeute nicht nur einen Eingriff in das »Eigentum« des Arbeitnehmers, sie berühre auch dessen Existenzsicherung. Für solche Maßnahmen habe das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber strenge Maßstäbe verordnet. Diese müssten »geeignet und erforderlich sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen« und dürften »die Betroffenen nicht übermäßig belasten.« Letzteres sei aber der Fall, so Mayer, denn die Praxis der Frühverrentung zu Lasten der Sozialkassen, die die Bundesregierung mit der verkürzten Bezugsdauer bekämpfen wolle, gehe »eindeutig von den Unternehmen aus« und nicht von den Beschäftigten. »Dies vertauscht Ursache und Wirkung«, erklärte der Rechtsexperte. Nach dessen Auffassung genießen alle Personen, die beim In-Kraft-Treten des angekündigten Gesetzes 45 Jahre alt sind und Beiträge geleistet haben, einen Eigentumsschutz für ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Selbst eine »zeitlich begrenzte Übergangsfrist« sei für diesen Personenkreis nicht akzeptabel. Die praktischen Auswirkungen des Gutachtens halten sich vorerst allerdings in Grenzen. Einen Rat, ob bei unveränderter »Agenda 2010« eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angebracht sei, wollte Mayer nicht abgeben. Dies sei eine Frage der politischen Abwägung. Klar ist indes nur, dass eine solche Klage dann keine aufschiebende Wirkung auf das entsprechende Agenda-Gesetz hätte. Vom Gericht eine dazu notwendige Einstweilige Verfügung zu erwarten, sei angesichts der dafür aufgestellten rechtlichen Hürden »aussichtslos«, erklärte Mayer. Auch die DGB-Vizevorsitzende Engelen-Kefer, die das Rechtsgutachten mit vorstellte, rechnet in erster Linie auf eine politische Lösung bei der »Agenda«. Diese Hoffnung habe sie noch nicht aufgegeben. Mindestbedingung des DGB sei, ließ sie erkennen, dass die Anspruchsdauer für Ältere auf Arbeitslosengeld nicht unter 24Monaten liege. Eine Verfassungsklage sieht die DGB-Vizechefin »nur als Ultima Ratio« an. Bei gleicher Gelegenheit stellte der DGB am Dienstag auch eine Reihe von Vorschlägen vor, um den Trend zur Frühverrentung zu stoppen und ältere Arbeitnehmer länger zu beschäftigten. Auch der DGB halte die außergewöhnlich lange Bezugsdauer von Arbeitslosengeld in Deutschland für problematisch. Das Problem müsse aber durch mehr Beschäftigung für Ältere gelöst werden. Die Ideen des DGB, so Engelen-Kefer, seien dabei die »bessere Alternative« zu den avisierten Kürzungen.
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