Mit 0,1 Prozent vom Etat »nur eine Mickey-Mouse-Größe«

Landessportbund besorgt über Mittelkürzung/Abgeordnete besuchten Basis des Berliner Sports /

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Landessportbund wehrte sich jüngst auf besondre Weise gegen die Kürzung von Mitteln. Er lud ein zur sportpolitischen Rundreise. Kaum hatte sich der Bus vorm Abgeordnetenhaus in Bewegung gesetzt, als der Mann mit dem Mikro ohne Pause zu reden begann. Die flotte Zunge gehörte jedoch keinem raffinierten Kaffee-Fahrt-Begleiter, sondern Peter Hanisch. Der Präsident des Landessportbundes (LSB) ließ auf die Fahrgäste unentwegt Zahlen und Fakten niederprasseln. »535000 Menschen, also 16 Prozent aller Berliner, treiben in 2050 Vereinen Sport. Im Westteil ist das jeder Fünfte, im Ostteil jeder Zehnte. Unser Ehrgeiz ist es, dass bis zum Jahr 2010 der Organisationsgrad auf 20 Prozent - und somit auf das Niveau von 1989 in Westberlin - ansteigt.« Ohne groß Luft zu holen, fuhr Berlins oberster Kämpfer für den Sport fort. »Fast 60000 Ehrenamtliche leisten jährlich mehr als 10 Millionen Arbeitsstunden«. Der Vortrag bewegte die Businsassen in unterschiedlichem Maße. Manche hörten interessiert oder aus Höflichkeit zu. Einige hatten eher die Termine nach diesem Termin im Kopf, das Telefon am Ohr oder die Bild-Zeitung in der Hand. Dennoch dürfte Hanisch sehr froh über die Anwesenheit von rund 20 Abgeordneten gewesen sein. Zum einen konnten sie nicht weglaufen, zum anderen waren sie ja auch gewillt, die Basis des Berliner Sports gewissermaßen vor Ort in Augenschein zu nehmen. Gerade die Vertreter des Hauptausschusses sind letztlich für das Absegnen des Doppelhaushaltes 2004/05 nach der Sommerpause verantwortlich. In der »Kernsportförderung«, die momentan 9,5 Millionen Euro beträgt, soll es gravierende Kürzungen geben. Beschlossen wurde in der Senatsklausur, die Summe um zwei Millionen Euro zu verringern. Viele soziale Projekte der Sportjugend werden aus Lotto-Mitteln finanziert. Von 18 Millionen Euro flossen 3,6 Millionen Euro in diese Richtung. »Wir wollen den Kopf nicht in den Sand stecken. Aber weitere finanzielle Einschnitte treiben die besten Trainer und Sportler aus der Stadt«, malte Hanisch den Teufel an die Wand. Das Sportforum Hohenschönhausen, die mit 50 ha nach dem Olympiastadion größte Sportanlage der Hauptstadt, ist das Herzstück der Berliner Leistungssportförderung. Hier befinden sich 25 mit und 11 Sportanlagen ohne Überdachung. Die Werner-Seelenbinder-Schule mit ihren 1130 Schülern, die teilweise im Internat wohnen, ist die größte und für den Nachwuchsleistungssport bedeutendste Eliteschule in Deutschland. An der Steffenstraße sind zudem das Zentrum für Sportmedizin, der Olympiastützpunkt Berlin und das sportwissenschaftliche Institut der Humboldt-Uni angesiedelt. Das Sportforum, in dem unter anderen die mehrfachen olympischen Medaillengewinnerinnen Claudia Pechstein (Eisschnelllauf) und Franziska van Almsick (Schwimmen) trainieren, war die erste Station der sportpolitischen Reise. Die Abgeordneten beobachteten im Schnelldurchlauf das Training junger Fechter, Judoka, Volleyballer und Schwimmer. Anschließend erläutert Dietrich Gerber, Vorsitzender des Trägervereins des Olympiastützpunktes Berlin: »Hauptproblem sind die Arbeitsverhältnisse unserer Trainer. Früher gab es Vier-Jahres-Verträge und somit Planungssicherheit für alle Beteiligten. Seit 2003 erlaubt die Haushaltslage nur Ein-Jahres-Kontrakte. Wir hoffen, dass zumindest die Laufzeit der Verträge bald auf drei Jahre ansteigen wird.« Die Bezahlung der Trainer, die bei einer Sechs-Tage-Woche jeweils rund 2500 Euro im Monat verdienen, macht einen großen Anteil der Kernsportförderung aus. Gerber wollte die Abgeordneten aber auch hinsichtlich der Kosten für die Erhaltung und den Bau von Sportanlagen sensibilisieren. Der Bund stellt gemeinsam mit dem Land Mittel zur Verfügung. Wenn die Co-Finanzierung fehlt, können auch die Bundesmittel nicht abgerufen werden. »Der Sporthaushalt beträgt nur 0,1 Prozent des Gesamthaushaltes und ist daher eher nur eine Mickey-Mouse-Größe«, redete er den Abgeordneten ins Gewissen. Gewissenhafte Arbeit war auch im Sportjugendclub Marzahn, zu beobachten. Die Einrichtung an der Franz-Stenzer-Straße liegt mitten in einem sozialen Brennpunkt und richtet sein Angebot in erster Linie an sozial benachteiligte Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren, beispielsweise Aussiedlerkinder. Die durchschnittliche Verweildauer der stets über 100 Besucher beträgt zwei Stunden. Sporttreiben und Beieinandersein fördern die Integration der Aussiedler. »Die Jugendlichen haben hier in Eigenregie einen Kletterturm und eine Beachvolleyballanlage errichtet oder die Clubräume tapeziert. Es ist ausgeschlossen, dass sie diese Dinge zerstören«, erklärt Hartmut Block. Der Projektleiter dieses Clubs berichtete Ähnliches über den Umgang miteinander. Vielfältige Hilfe gebe es im Kraftraum oder am Kletterturm. Eine Mutter, deren Kind die Einrichtung regelmäßig besucht, warnte die Politiker eindringlich vor einem finanziellen Kahlschlag. Dieser würde kriminelle Energie freisetzen. Die Jugendlichen selbst haben in den vergangen Tagen gefragt, ob denn der Besuch der Politiker etwas gebracht habe. »So etwas sieht man sonst nur auf dem Papier. Auch Finanzsenator Sarrazin sollte dazu mal in einen Kleinbus verfrachtet werden« meine Hauptausschussmitglied Karlheinz Nolte (SPD). Wenn alle Abgeordneten diesen Eindruck gewonnen haben, dürfte sich die Fahrt im Sinne des Sports und der Jugend gelohnt haben.
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