nd-aktuell.de / 12.07.2003 / Wissen

Hexenbutter und Drachendreck

Einheimisch und doch reichlich exotisch: die Schleimpilze

Kerstin Koch
Vor knapp vier Wochen wurde die diesjährige Siegerin im Bundeswettbewerb »Jugend forscht« im Bereich Biologie gekürt. Sie verglich den pH-Wert bestimmter Organellen mit dem umgebenden Zytoplasma in Zellen. Im vergangenen Jahr gewannen ebenfalls zwei Bayern den Wettbewerb. Was die Gewinner mit einander zu tun haben? Sie untersuchten Schleimpilz-Zellen. 1973 löste ein massenhaftes Auftreten von Schleimpilzen in Dallas (Texas) eine Panik aus. Die Bewohner dachten, Außerirdische seien gelandet, als sich die gelbe Lohblüte ihren Weg auf Laternenmasten und in Vorgärten bahnte. In Baden-Württemberg landete 1994 Rindenmulch, der ebenfalls von der gelben Lohblüte besiedelt war, auf der Sondermülldeponie. Dabei richten die Schleimpilze vor allem durch starkes Überwuchern anderer Pflanzen Schaden an, weil sie deren Funktionen einschränken. Im Jahre 1981 war eine Erdbeerkultur vom violetten Schleimpilz »Diachea leucopodia« befallen, 1992 traf es Salatbeete. Sind Pilze schon recht außergewöhnliche Lebewesen, machen es die Schleimpilze dem Biologen noch schwerer. »Dass sie weder Tier noch Pflanze sind, macht sie zu etwas Besonderem«, erläutert Dr. Birgit Mory, die gemeinsam mit Prof. Dr. Hans-Walter Lack von der Freien Universität (FU) in Berlin die Ausstellung »Fließende Welten - geheimnisvolle Schleimpilze« aus Österreich nach Berlin geholt hat. Allen Pilzen ist gemein, dass sie es feucht und relativ warm lieben, weltweit sind 1000 Arten bekannt, allein in Europa wurden 600 beschrieben. »Das mag vor allem daran liegen, dass in Europa das wissenschaftliche Interesse an Schleimpilzen sehr groß ist«, so Mory. Schleimpilze vereinigen in sich Eigenschaften von Pilzen, Tieren und Pflanzen. Schleimpilze sind Eukaryonten, das heißt, sie haben einen Zellkern. Wie den Pilzen fehlt ihnen Blattgrün. Deshalb ernähren sie sich heterotroph, sie sind also wie die Tiere auf andere Lebewesen angewiesen. Bakterien, Mikroben, Schimmelpilze, aber auch höhere Pilze und Algen stehen auf ihrem Speiseplan. In der Regel fehlen den Schleimpilzen Zellwände, und in bestimmten Entwicklungsphasen bewegen sie sich sogar aktiv vorwärts. Sie vermehren sich, indem sie Fruchtkörper und Sporen ausbilden. Einige Arten von Schleimpilzen können sogar Kalk einbauen, andere brauchen bestimmte Bakterien, um organisches Material zersetzen zu können. Ihr Lebenszyklus lässt sich in vier Abschnitte unterteilen. Wind oder Wasser verbreiten die Sporen aus den Fruchtkörpern. »In den Sporen entwickeln sich mindestens zwei Zellen, die keine Zellwand haben, dafür einen Zellkern in schleimigem zellulosehaltigem Material«, erklärt FU-Pilzexperte Ewald Gerhardt. Ist es feucht, platzen die Sporen auf und heraus kommen bis zu vier Einzeller, so genannte Myxamöben bzw. Myxoflagellaten. Während Myxamöben sich kriechend vorwärts bewegen, erlauben zwei fadenartige Geiseln den Myxoflagellaten das Schwimmen. Ist genug Nahrung vorhanden, teilen sich die Zellen und bilden Kolonien. Unter ungünstigen Bedingungen verkapseln sich die einzelnen Zellen zu so genannten Mikrozysten. Verbessern sich die Lebensumstände wieder, geht der Entwicklungszyklus weiter. Die Zellen verschmelzen paarweise miteinander, aus der entstandenen neuen Zelle entwickelt sich das so genannte Plasmodium: eine Riesenzelle mit unzähligen Zellkernen. Diese schleimige Masse hat den Schleimpilzen ihren Namen gegeben. Das Plasmodium bildet meist Polster, aber auch filigrane Netzwerke in vielen verschiedenen Farben aus. Bei den meisten Arten nur zwei bis drei Zentimeter groß, kommt die schwarze Masse von »Brefeldia maxima« auf einen Quadratmeter Fläche und 20 Kilogramm Masse. Ihre merkwürdige Form brachte den Schleimpilzen im Volksmund Namen wie Hexenbutter oder Drachendreck ein. Der Schleimpilz bewegt sich auf der Nahrungssuche über alle Hindernisse hinweg. Wird es zu trocken oder zu kalt, kann sich das Plasmodium zu einem hornartigen Sklerotium als Ruheform verhärten. Bei guten Lebensbedingungen kriecht das Plasmodium zu einer erhöht liegenden und hellen Stelle und bildet dort nach einer Teilung Fruchtkörper aus. Die dort entstehenden Sporen werden nach der Schneeschmelze von Wind oder Wasser fortgetragen. Der Zyklus beginnt von vorn. Die Biologen teilen die merkwürdigen Lebewesen in drei Untergruppen: zelluläre, echte und endoparasitische Schleimpilze. Die Sporen der zellulären Schleimpilze entlassen Myxamöben, von denen sich immer mehrere zusammenballen und sich wie ein Wurm fortbewegen. Echte Schleimpilze, die Myxomicota, entlassen Zellen mit Flagellen, ihre Fruchtkörper sind höher entwickelt als beim zellulären Typ. Zu dieser Gruppe zählt auch Fuligo septica, die gelbe Lohblüte, die wiederholt Panikreaktionen auslöste. Zur dritten Gruppe zählen jene Schleimpilze, die Zellwände aus Chitin ausbilden und sich als Pflanzenparasiten durchs Leben schlagen. Zunehmend interessant sind die Schleimpilze für Mikrobiologen, Biotechnologen und Mediziner, die sie als Modellorganismus in der Forschung benutzen, wie schon die preisgekrönten Jungwissenschaftler aus Bayern gezeigt haben. Die Ausstellung »Fließende Welten - geheimnisvolle Schleimpilze« ist bis zum 30. November, täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: 1, ermäßigt 0,50. Das Botanische Museum Berlin befindet sich in der Königin-Luise-Str. 6-8