nd-aktuell.de / 11.12.1992 / Politik / Seite 7

Der Krieg gegen Kurden erreicht auch die Westtürkei

Avglstanbul berichtet TUNCAWKULAO&IjU,

Die 1 ' Repression J gegen kurdische Oppositionelle in der Türkei hat den Westen des Landes erreicht. In Antalya wurden kurz nacheinander zwei Politiker auf offener Straße erschossen: Dr. Idris Celik und Yusuf Solmaz gehörten dem Regionalvorstand der Arbeitspartei des Volkes (HEP) an.

Unterhalb der offenen Gewaltschwelle heizen die Behörden in den zumeist sozialdemokratisch geführten Städten der Westtürkei, in denen mehrere Millionen Kurden leben, die Stimmung an. In Adana, im Süden des Landes unweit von den kurdischen Gebieten gelegen, leben viele vor Armut und Krieg geflohene Kurden. Hier wurde Straßenverkäufern per Behördenerlaß der Aufenthalt in der Innenstadt untersagt. So entstehen riie ersten kurdisnhen Ghettos.

die es trotz jahrzehntelanger Landflucht bislang nicht gab.

Auch die Behörden von Izmir, der drittgrößten Stadt in der Türkei, zogen die Karren und Stände kurdischer Stra-ßenverkäufer ein, wollten ihnen aber Läden stellen. Doch

keiner der etwa 10 000 Straßenhändler aufbringen kann.

Zeitgleich zu diesen Schikanen „entlarvte“ die größte Regionalzeitung, Yeni Asir: Bei einer Durchsuchung hätten Sicherheitskräfte in den Karren kurdischer Straßenhändler Kalaschnikows und eine Menge Bargeld gefunden, beides angeblieh bestimmt für die PKK. Ein

Die Kampagne blieb nicht ohne Folgen: Viele Türken zeigen inzwischen Verständnis für Übergriffe der Sicherheitskräfte. So stürmte die Polizei im Stadtteil Yamanlar unlängst ein kurdisches Hochzeitsfest und nahm die Teilnehmer wegen „separatistischer Propaganda“ fest. Sie hatten kurdische Lieder gesungen und die Nationalfarben Rot-Gelb-Grün getragen.

Bislang gab es noch keine Pogrome gegen Kurden. Doch nachdem in der Touristenstadt Fethiye bei Antalya die T,pinhpn zweier Snldatpn. Hip

bef XJ&fechten mit der .PKK getötet worden waren, eintrafen, kam es zu spontanen Protesten und zur Bildung einer Bürgerwehr, die Menschen verprügelte, in deren Ausweisen ein kurdischer Geburtsort verzeichnet ist. Schon ein kleiner Funken kann also Exzesse auslösen. Nach einer in Istanbul durchgeführten Umfrage der Zeitschrift Tempo waren 37 Prozent der Befragten der Meinung, daß die Kurdenproblematik nur durch konsequente Gewaltanwendung zu lösen sei. Rund 17 Prozent befürworteten aber auch eine Autonomieregelung für den Südosten der Türkei. Dieser Vorschlag ist jedoch weit davon entfernt, politikfähig zu sein. Vielmehr könnte der von den Militärs propagierte „totale Krieg“ gegen die Kurden jetzt die Zustimmung der Bevölkerung gewinnen.