nd-aktuell.de / 29.12.1992 / Sport / Seite 16

„Hau wech“ ist keine Worthülse mehr

HARRYRADUNZ

Ostdeutschlands Mannschaften in den Ballspielsportarten sind nach der Vereinigung in das Mittelmaß und noch tiefer versackt. Das „Go West“-Motto hat tiefe Spuren und große Lücken hinterlassen. Nur auf einen einzigen Bundesliga-Spitzenreiter kann der Ost-Sport verweisen.

Es sind Schwerins Volleyballerinnen, die derzeit keinen Rückstand, sondern nur Verfolger kennen. Der Mecklenburger Schlachtruf „Hau wech“ ist schon seit Monaten keine leere Worthülse mehr im Gegenteil. Zur Meisterschafts-Halbzeit führen die Mecklenburgerinnen mit 23 Zählern bei nur einer Niederlage in zwölf Spielen vor dem punktgleichen USC Münster und CJD Berlin. Mit zehn Punkten Vorsprung zum Fünften, Alstertal-Harksheide, ist der Einzug in die Playoff-Runde schon sicher. Aber damit wollen sich die SSC-Frauen nicht begnügen.

Nach sieben DDR-Meistertiteln - der letzte wurde 1984 gewonnen - soll es nun der erste gesamtdeutsche werden. „Wir wollen in das Endspiel

kommen und Meister werden. Das wäre das schönste Geschenk zu meinem 50. Geburtstag“, wünscht sich Trainer Gerhard Fidelak von seinen Damen, denen er einen derartigen Höhenflug eigentlich noch gar nicht zugetraut hätte. „Vierter oder Dritter wollten wir beim Start werden.“ Als wundersame Erscheinung kommt dem Trainer, der Schwerin einst zu zwei Europacupsiegen führte, die Leistung seiner Schützlinge aber auch nicht vor.

„Nach einem Anpassungsjahr haben sich alle auf die neue Situation besser eingestellt. Christina Schultz, Ute Steppin, Sylvia Roll, Kapitän Dörte Techel, Doreen Balstersie sind alle besser geworden und wollen gewinnen. Alle wissen, wir spielen für Schwerin, und wir wollen zeigen, wer wir sind.“ Der gebürtige Thüringer spricht sogar von dem eindeutig angriffsstärksten Team, das Schwerin je hatte. „Es ist ja auch die erfahrenste Mannschaft, in der sich über 1 000 Länderspiele vereinen“, meint der Stratege am Netz, der dabei natürlich die 238 internationalen Ein-

sätze der Russin Jelena Wolkowa (32), eine Weltklasse-Angreiferin, einrechnet.

Neben ihr ist die 33jährige Lettin Nadeshda Boroditschuk die zweite Ausländerin im Team. Für die Bundesliga-Spiele hat Fidelak seinen Schützlingen immer wieder eingeimpft: „Jeder Gegner ist eine Herausforderung für uns und keine Bedrohung“. Die Folge: „Es gelingt eben vieles.“ Für die zweite Halbserie im neuen Jahr hat der Trainer des Spitzenreiters seine Strategie ergänzt: „Wir müssen uns gegen schwache Teams noch mehr motivieren, und wir dürfen uns auswärts von den Zuschauern nicht so beeindrucken lassen wie in Münster von den 4 100 Fans.“

Immerhin präsentierten sich einige Schwerinerinnen auch wieder nationalmannschaftsreif. Die 27jährige, 1,90 m große Diagonalspielerin und Sportstudentin Ute Steppin (331 Länderspiele) steht wie die 23jährige, ebenso hochgewachsene Blockerin Christina Schultz (112) vor einem Comeback. Die 19jährige Angreiferin Sylvia. jtoll_gibt..

beim Bremer Turnier ihr Auswahl-Debüt.

Für die Meisterschafts-Schlußphase haben die Mecklenburgerinnen noch einen besonderen Trumpf in der Hand. Aus der zuletzt mit 900 Zuschauern knüppeldick gefüllten Volleyballhalle will man wieder in die 5 000 Zuschauer fassende Sport- und Kongreßhalle umziehen, wo man auf ebenso vorwärtsstreibende Unterstützung hofft. Für die Nordostdeutschen geht es indes schon weit mehr als um den Meistertitel, der noch mehr neue Sponsoren anziehen würde als schon da sind. Es sollen wieder Talente gewonnen werden, und zwar aus ganz Mecklenburg-Vorpommern. „Schwerin soll- wieder Synonym für Höchstleistungen und für Nationalmannschaftsaufgaben werden.“

Am Sonntag gelang schließlich auch noch mit einem hart erkämpften 3:2-Sieg über USC Münster der Einzug ins Pokalfinale, in dem man am 24. Januar Gastgeber für Cupverteidiger CJD Berlin ist. So könnte aus dem Zweiertanz sogar Pokal und Titel herausspringerL,.,-