nd-aktuell.de / 04.01.1993 / Politik / Seite 10

Jürgen Reents an ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser, 27.11.1992

Foto: dpa/Berg

Sehr geehrter Herr Bresser!

(...) Sie teilten mir am 18. 9. mit, daß die Auswahl „ausschließlich nach journalistischen Kriterien“ erfolge. Auf meine Nachfrage (24. 9.), welcher Art solche journalistischen Kriterien denn seien, die nahezu in Permanenz dafür sorgen, daß die PDS/LL in den Nachrichtensendungen des ZDF über Bundestagsdebatten nicht vorkommt, antwortete mir nunmehr Herr Voß, daß die Auswahl „keineswegs zu Lasten der PDS/LL erfolgt“, und erläuterte mir die journalistischen Kriterien des ZDF insoweit, daß „professionelle Erfahrung und sachkundiges Urteilsvermögen“ sowie» ^Bedeutung und Funktion der jeweiligen Redner im politischen System der, Bundesrepublik Deutschland “ wichtig bzw. entscheidend für die Auswahl seien. Herr Voß teilte mir ferner mit, daß er unsere Beschwerde „gleichwohl an die Leitungen der aktuellen Redaktionen weitergegeben“ und auf unsere Kritik „aufmerksam gemacht“ habe.

Nun hat sich inzwischen allerdings nichts daran geändert, daß die PDS/LL in den zentralen Nachrichtensendungen des ZDF, in denen über wesentliche Debatten des Bundestages berichtet wird, schlicht und einfach nicht vorkommt.

Ich möchte folgende Beispiele seit Ihrer Zurückweisung unserer Kritik herausgreifen:

1. Am 8. 10. 92 wurde im Bundestag u.a. über den Rassismus („Extremismus und Gewalt“) und über den Maastricht-Vertrag debattiert.

a) Zum Thema Rassismus gab es in den „heute“-Nachrichten um 19 Uhr O-Töne von Seiters (CDU/CSU), Vogel (SPD), Schmalz-Jacobsen (FDP) und Weiß (Bündnis 90). Die PDS/LL, für die deren innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke an diesem Tag redete, kam als einzige Fraktion bzw. Gruppe weder mit einem O-Ton noch mit nachrichtlicher Erwähnung vor.

Im „heute Journal“ gab es im Beitrag über die Rassismus-Debatte O-Töne von Vogel (SPD), Weiß (Bündnis 90), Blens (CDU/CSU), Schmalz-Jacobsen (FDP) und Seiters (CDU(CSU). Die PDS/LL wurde als einzige Fraktion bzw Gruppe weder mit O-Ton noch in der nachrichtlichen Wiedergabe berücksichtigt.

Ergänzend sei vermerkt, daß das ZDF direkt im Anschluß an das „heute Journal“ noch eine von Barbara Friedrichs moderierte 30-minütige Sondersendung „Heute im Parlament“ -Rechtsradikalismus“ ausgestrahlt hat, die im wesentlichen aus drei Blöcken von O- Tönen mit jeweiliger Zwischenmoderation bestand. Dabei wurden Rednerinnen der CDU/CSU 6x, der SPD 5x, der FDP 3x, des Bündnis 90 2x sowie der PDS Ix berücksichtigt.

(„Ergänzend“ schreibe' ich deswegen, damit Sie sich nicht die Mühe machen müssen, uns darauf hinzuweisen, daß es diese Sendung gab, und daß die PDS/LL dort auch einmal zu Wort kam - wir wissen dies. Ebenso, wie uns bekannt ist, daß das ZDF am 8.10. die Debatte „Extremismus und Gewalt“ von ca. 9 bis 16 Uhr live übertagen und diese Live-Übertragung nicht mittendrin unterbrochen hat, als Frau Jelpke für die PDS/LL am Redepult stand. Bei einer erneuten Stellungnahme, die ich erbitte, könnten Sie sich also ausschließlich auf das beziehen, was das Thema unserer Kritik ist: die Ausgrenzung der PDS/LL aus den zentralen

Nachrichtensendungen des ZDF.)

b) Das Thema Maastricht wurde in den „heute“-Nachrichten mit O-Tönen von Kinkel (FDP), Waigel (CDU/CSU) und Wieczorek-Zeul (SPD) behandelt (im „heute Journal“ gab es keinen Beitrag darüber). Für die PDS/LL sprachen in dieser Debatte deren Vorsitzender Gregor Gysi sowie deren stellvertretende Vorsitzende Andrea Lederer. Gregor Gysi begründete u.a. den von der PDS/LL eingebrachten Gesetzentwurf zur Durchführung eines Volksentscheids, nach dem - wie in Dänemark und Frankreich - eine Volksabstimmung über den Maastricht-Vertrag auch in der Bundesrepublik ermöglicht werden sollte. In der nachrichtlichen Berichterstattung über diese Debatte war zum Schluß von einer Volksabstimmung die Rede, „die die Opposition fordert“.

2. Über die zweite Lesung der Kanzleretats 93 (Haushaltsdebatte am 25.11.) berichteten die „heute“-Nachrichten mit O-Tönen von Klose (SPD), Schäuble (CDU/CSU), Kohl (CDU/CSU), Solms (FDP) und

Ullmann (Bündnis 90). Die PDS/LL wurde als einzige Fraktion bzw. Gruppe weder mit O-Ton noch in der nachrichtlichen Wiedergabe berücksichtigt. Für die PDS/LL sprachen zu diesem Thema deren Vorsitzender Gregor Gysi und deren stellvertretende Vorsitzende Andrea Lederer.

3. Über die Fortsetzung der Haushaltsberatungen am 26. 11. konzentrierten die „heute“-Nachrichten sich auf den Etat des Wirtschaftsministers, mit O-Tönen von Roth (SPD), Nitsch (CDU/CSU) und Möllemann (FDP). Nachrichtliche Erwähnung fanden weder die PDS/LL noch das Bündnis 90.

Ich habe diese Beispiele, wie

fesagt, herausgegriffen. Es önnten weitere angefügt werden, etwa zur Berichterstattung über die asylpolitische Debatte des Bundestages am 15. Oktober. Sie verdeutlichen, daß unsere nun schon mehrfach vorgetragene Kritik in jeder Hinsicht belegbar und deren Zurückweisung durch das ZDF völlig haltlos ist. Nichtsdestoweniger sehe ich dieser wieder mit Spannung entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Reents