nd-aktuell.de / 04.01.1993 / Politik / Seite 11

Welche Alternativen gibt es zur Gegengewalt?

WOLFGANG REISCHOCK

Foto: Gegendruck

Hoyerswerda. Hünxe. Rostock. Mölln. Städtenamen wurden zum Fanal. Andere, wie München und Frankfurt, setzten inzwischen Zeichen der Hoffnung, wenn man sich auch fragt: Warum finden die (Fernseh-)Bilder prägenden Aktionen im Westen statt? Leben dort die besseren Menschen? Wie auch immer: Der Skandal selbst wird uns wohl noch eine Weile erhalten bleiben: Rechtsextremismus und Gewalt, so ungewohnt in Deutschland ohnehin nicht, greifen um sich. Verschreckte Politiker, die sich Sorgen machen, weniger um die Opfer denn ums Ansehen „dieses unseres deutschen Vaterlandes“ im Ausland, fordern Razzien, Lauschangriffe und den Einsatz verdeckter Ermittler, härteres Vorgehen der Polizei. Gegengewalt.

Gewiß, wo friedlichen Mitmenschen Brandschatzung, Raub und Totschlag drohen, sind Feuerwehr, Polizei und Gerichte gefordert. Aber kann sich die Lösung des Problems darin erschöpfen, Brände zu löschen, nachdem sie gelegt sind, Mörder zu fassen und zu verurteilen, nachdem sie gemordet haben? Muß man nicht stärker nachsinnen über Vermeidungsstrategien, statt sich auf Straf aktionen zu kaprizieren? Dies scheint um so notwendiger - und auch sinnvoller -, als der Gewalttot ja'die Gewaltbereitschaft vorausgeht, die dem Menschen keineswegs angeboren ist und sich in ihm auch nicht urplötzlich entzündet, als sei ein Blitz aus heiterem Himmel in seine Seele gefahren. Die Be-

reitschaft zur Gewalt entsteht vielmehr - so wie faschistoide Gesinnung, mit der sie einhergeht. Und sie siedelt sich, als Mitläufertum ständig neuen Zugang erhaltend, in dem weiten Umfeld der Hauptakteure an, wo sie in der Regel weniger auffällig ist.

Wie dem auch sei: Es bleibt die Frage - auf die Schäuble uns die Antwort schuldig blieb -, warum denn solche inneren Werte verloren gegangen sind bzw. sich gar nicht erst herausbilden können.

Daß die zunehmende Feindseligkeit gegen Ausländer auch zu tun hat mit den Merkwürdigkeiten, welche die Ausländerpolitik der Bundesregierung und der etablierten Parteien kennzeichnen, müßte natürlich auch Schäuble bekannt sein. Aber selbst wenn er sich dazu bekennen würde, träfe dies noch nicht den Kern des Problems. Nicht nur, daß damit die Aggressivität gegen andere Minderheiten wie Juden, Homosexuelle und vor allem „Linke“ nicht erklärt ist es wird gar nicht erst gefragt,

ob und auf welche Weise die rechtsextremistische Gewalt den sozialen und politischen Verhältnissen der (nun größer gewordenen) Bundesrepublik selber entspringen könnte. Wo zum Beispiel ein strammer Antikommunismus, der sich zugleich immer gegen „den Osten“ richtete, seit Jahrzehnten so etwas wie eine Staatsdoktrin war, liegt die Rückbesinnung auf den Rechtsradikalismus der historischen Vorgänger nicht so fern.