nd-aktuell.de / 04.01.1993 / Kultur / Seite 13

Trauerrede auf einen großen Mimen - Wolf Kaiser zum Gedenken, dessen letztes Filminterview morgen der ORB sendet

Mein lieber Wolf,

wenn es so etwas gibt, wie es unser vor zehn Jahren, am 23. Oktober 1982, gestorbener Kollege Dieter Franke nannte: den Schauspielerhimmel, dann wärst Du jetzt dort, und ich spreche Dich an, weil es ein Zufall fügte, daß ich Dir die letzte Rede halten darf. Ich sag's gleich, sie wird holpernd. Und wenn Du an jenem Ort bist, an welchem Franke die Großen und die Kleinen unserer Zunft wähnte, dann spare ich mir die Erklärung, weshalb es holpert, da man dort, wo Ihr seid, alles schon weiß. Doch bin ich Dir noch etwas schuldig. Bei einer unserer Begegnungen im Monbijou-Park kamen wir auf Heinrich Heine zu sprechen... Oder genauer: Du sprachst wie immer von Brecht, doch wollte ich auch mal drankommen - und kam auf Heine. So ließest Du mich zitieren: „Es wird noch eine ganze Weile dauern, eh' wir das große Heilmittel ausfündig machen. Allerlei Quacksalber werden auftreten mit Hausmittelchen, welche das Übel nur verschlimmern. Da kommen zunächst die Radikalen und verschreiben eine Radikalkur. Alle überlieferte Heiterkeit, alle Süße, aller Blumenduft, alle Poesie wird aus dem Leben herausgepumpt werden, und es wird nichts davon übrigbleiben als die Rumfordsche Suppe der Nützlichkeit. - Für die Schönheit und das Genie wird sich kein Platz finden in dem Gemeinwesen unserer neuen Puritaner, und beide werden unterdrückt werden, noch weit betrübsamer als unter dem älteren Regimente. Denn Schönheit und Genie sind ja auch eine Art Königtum, und die passen nicht in eine Gesellschaft, wo jeder im Mißgefühl der eigenen Mittelmäßigkeit alle höhere Begabnis herabzuwürdigen sucht bis aufs banale Niveau. Die Könige gehen fort, und mit ihnen gehen die letzten Dichter. Ohne Autoritätsglauben kann auch kein großer Dichter emporkommen. Die öde Werkeltagsgesinnung der modernen Puritaner verbreitet sich schon über ganz Europa wie eine graue Dämmerung, die einer starren Winterzeit vorausgeht.“ Und Du wolltest wissen, wQiäas,bsi Heine steht, ich wußte es nicht mehr. Jetzt habe ich nachgeschaut. Es ist aus LUDWIG BÖRNE. EINE GEDENK-SCHRIFT.

Wolf Kaiser war ein Monarch, das glaube ich fest. Er war ein Ungekrönter unserer Zunft. Was ist das - ein Monarch beim Theater? Es ist ein Herrscher, der selbst drei Herren zu dienen hat: dem Dichter, dem Publikum und dem guten Geschmack. Nun, Wolf sah auch aus wie ein Monarch. Er konnte blicken, sprechen, schreiten wie ein Monarch. Er konnte denken wie ein solcher, denn er konnte in Zusammenhängen denken. Ein Monarch muß an sich glauben und nicht an sich irre werden. Tapfer muß er sein, listig na-