nd-aktuell.de / 04.01.1993 / Sport / Seite 14

Produkt der Revolution

„Soto“, das ist der 25jährige Javier Sotomayor, gewiß der populärste Einzelathlet auf Kuba. Für den Weltrekordler (2,44 m) und Olympiasieger (2,34 m) im Hochsprung steht fest, „daß die kubanischen Sportler eine andere Philoso-

phie haben als die Aktiven anderenorts“ Die bestehe darin, daß der Sport für die Seele und nicht für die Brieftasche da zu sein habe. Soto, der, ebenso wie z. B. der weitbeste Amateurboxer Felix Savon, aus sehr bescheidenen Verhältnissen vom Lande stammt, „kann und will sich gar nicht vorstellen, einmal reich zu sein!“ Logisch, daß Javier sich ausdrücklich als Produkt der Revolution begreift, die der gesamten Bevölkerung völlig neue und annähernd gleiche Ausgangschancen bot und zu bieten versucht. Daß er allerdings außer seinem Trainings-Arbeits-Alltag, der ihn von 9 bis 18 Uhr beansprucht, noch tief ergehende geistige Interessen hätte, kann nicht behauptet werden. Sowohl Filme als auch Musik made in USA werden auch von ihm leidenschaftlich konsumiert, fastfood sozusagen, und von Büchern ist nicht die Rede.

Für den Sunnyboy mit den langen weißen Kniestrümpfen jedoch ist das schönste Stück seiner umfänglichen Trophäensammlung nicht die Barcelona-Medaille, sondern ein kleiner Sony-Fernseher, den ihm Fidel Castro nach dem Sprung-Triumph persönlich geschenkt hatte. Ob allerdings dafür, daß sich „Soto“ mit dem Gerät seine erklärten Lieblingsfilme, jene von und mit Sylvester Stallone, anschaut, darf man, bei aller Liebe des großen Kommandanten zum großen Springer, aber doch bezweif ein.

Die „Sportstadt“ von Havanna liegt am südwestlichen

Rand der Metropole. Nicht zufällig findet sie sich auf keinem Touristenplan. Ein Zaun grenzt das Gebiet ab, auf dem sich Trainings-und Wettkampfanlagen, Sport- und Sporthochschulen, wissenschaftliche Einrichtungen, Archive und Bibliotheken befinden. „Sportstädte“ gibt es auch in anderen Städten Kubas, aber diese hier ist die bedeutendste. Weswegen an der Wache kein Weg vorbeiführt. Ausweis abgeben, Passierschein erhalten und dann hinein, gilt für die Einheimischen, falls sie überhaupt dürfen.