nd-aktuell.de / 25.08.2003 / Wirtschaft und Umwelt
Das Schweigen der Geldwäscher
Ernest Backes' Enthüllungen über die Clearstream-Bank
Werner Rügemer
Der ehemalige leitende Bankenmitarbeiter Ernest Backes und der Journalist Denis Robert legen in ihrem Buch die Arbeitsweise der dem breiten Publikum weithin unbekannten Clearingbanken »Clearstream« und »Euroclear« in Luxemburg bzw. Brüssel offen.
Die Angaben gehen im wesentlichen auf Backes zurück, einen Insider, der 1983 entlassen wurde und nach langen Jahren sich entschloss auszupacken. Er arbeitete seit der Gründung 1970 bei Clearstream. Damals hieß das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg noch Cedel - »Centrale de livraison de valeurs mobilières«, in etwa also »Zentrale für die Lieferung von Wertpapieren«.
Seit Mitte der 60er Jahre hatten knapp 200 US-amerikanische, englische, deutsche, französische und italienische Banken in der aufstrebenden Finanzoase Filialen gegründet. Mit Cedel wollten sie ihren internationalen Wertpapierhandel mit Hilfe der elektronischen Erfassung und Dokumentation rationalisieren und in Echtzeit abwickeln. Zeit raubende Verschickungen von Aktien, Staatsobligationen und anderen Werten in Papierform und per Post sollten entfallen. »Wir sind der größte internationale Lieferant von Kompensationsdiensten«, rühmt sich die Clearingbank heute.
1999 wurde Cedel in Clearstream umbenannt, hat 2000 Beschäftigte in Luxemburg und in Filialen an den wichtigsten Bankplätzen wie New York, London und Hongkong. Im Verwaltungsrat sitzen die Deutsche Bank sowie die wichtigsten Banken aus New York, London, Paris und Mailand. Im Jahre 2000 fusionierte dann Clearstream mit der Deutschen Börse AG.
Robert und Backes stellen dar, wie die banktechnisch sinnvollen Anfänge des Clearingsystems immer mehr zur Verschleierung genutzt werden können. In den 90er Jahren wurden viele hundert »offshore«-Banken aus den 60 Finanzoasen wie Panama, Cayman Islands und Vanuatu in das System aufgenommen, ebenso zweifelhafte »Mafia-Banken« aus Russland. Inzwischen sollen ungefähr 15000 Kompensationskonten geführt werden, darunter auch von Industrieunternehmen wie Siemens und Unilever, obwohl diese keine Finanzinstitute darstellen. Etwa die Hälfte der Konten werden gegenüber den angeschlossenen Kunden, also etwa 7000 Banken und Unternehmen, veröffentlicht. Unter den nicht veröffentlichten Konten sind besonders viele von »offshore«-Banken und Industrieunternehmen.
Backes schildert, wie dieses System auch politisch genutzt werden kann: 1981 musste er auf Anweisung der US-Notenbank und der Bank of England mehrere Millionen Dollar an Wertpapieren aus Finanzoasen an die Algerische Nationalbank schleusen: Die Werte flossen schließlich als Lösegeld an die iranische Regierung, um die 55US-amerikanischen Geiseln in Teheran freizukaufen. Später erfuhr Backes, dass die Clearingbank damit in ein Komplott des Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan eingespannt wurde, der das Verdienst der Geiselbefreiung nicht dem amtierenden US-Präsidenten Carter zukommen lassen wollte, die iranische Regierung mit Waffenlieferungen hinhielt und die Befreiung erst in seiner Amtszeit zuließ.
In den Archiven von Cedel/Clearstream finden sich nicht nur die Spuren aller grenzüberschreitenden Wertpapierkäufe und -verkäufe, sondern notwendigerweise, so die Autoren Backes/Robert, auch Spuren der Zahlungsflüsse aller großen Skandale: Elf/Aquitaine-Leuna, Bank of New York-Jelzin, aber auch der Gelder des nun entmachteten Saddam Hussein sowie des Vatikans, der Finanzierung der Solidarnosc sowie von beiseite geschafften Firmengeldern bei Konkursen und so weiter.
Ein Teil des Buches besteht aus einem Lexikon zu Personen und Institutionen in Luxemburg: Der Waffenhändler Adnan Kashoggi und seine Briefkastenfirmen im Großherzogtum, die großherzogliche Familie und ihr geheimnisvoller Reichtum, der größte Bankzusammenbruch der Geschichte (Bank of Credit and Commerce International, BCCI, mit Sitz in Luxemburg), der Banken-Politfilz mit den Ministerpräsidenten Jaques Santer und Jean-Claude Juncker, die Geschäfte der geheimnisvollen Bankiers Auchi, Leir, Meyer Lansky, die Verbindungen des Liechtensteiner Treuhänders Batliner und des deutschen Ex-Kanzlers Kohl nach Luxemburg. All das ergibt interessante Einblicke in das Innenleben einer Finanzoase, die nach Backes seit 1945 ein »Brückenkopf« der USA in Europa ist.
Die Autoren verweisen auf die zweite internationale Clearingbank »Euroclear«. Sie hat ihren Sitz in Brüssel und 1350 Beschäftigte. An dem 16-Etagen-Bürohaus ist kein Firmenzeichen angebracht. Hier sitzen fast die gleichen Banken im Aufsichtsrat, mit einem leichten Übergewicht der französisch-niederländischen Banken. Die beiden Clearingbanken haben heute ein weltweites Monopol. Backes und Robert zeichnen auch ein knappes Porträt von SWIFT, der entsprechenden Bankenzentrale mit Sitz in Brüssel, die für 7000 Geldinstitute weltweit die Bargeld- und Devisenflüsse koordiniert und archiviert.
Es ist das Verdienst der Autoren, diese bisher der politischen Öffentlichkeit weithin unbekannten Institutionen endlich zum Thema zu machen. Wer über Geldwäsche und die Kontrolle der Finanzmärkte redet, kann über die Clearingbanken und SWIFT nicht schweigen. Sie stellen »Notare« der von den Staaten immer weniger kontrollierten internationalen Geldflüsse dar und sind mit ihren aufbewahrten Archiven ein bisher unbekanntes »Gedächtnis der internationalen Finanzmärkte«, die damit keineswegs so anonym sind, wie meist behauptet wird. Staatsanwälte und Steuerfahnder fänden hier wertvolles Material, wenn sie denn Zutritt bekämen, der bisher rigoros verweigert wird. Auch die Durchsetzung der Tobin-Steuer und ähnlicher Instrumente kommt an diesen Institutionen nicht vorbei. Bei der Lektüre des märchenhaften Wirtschaftskrimis entsteht ein Wunsch: Gäbe es doch mehr Insider wie Backes - es ist an der Zeit!
Ernest Backes/Denis Robert: Das Schweigen des Geldes. Die Clearstream-Affäre. Pendo Verlag, Zürich 2003. 380S., geb., 29,90 EUR.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/40345.das-schweigen-der-geldwaescher.html