Ältere Arbeitnehmer in Armut gedrängt

Minderheitenvotum der Gewerkschaftsvertreter in der Rürup-Kommission zur Rentenversicherung

In dem 380-seitigen am Donnerstag vorgelegten Bericht der Rürup-Kommission sind eine Reihe von Minderheiten-Voten enthalten. Die entsprechenden Gegenvorstellungen der vier gewerkschaftlichen Mitglieder der Rürup-Kommission - DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer, IG-Bau-Vorsitzender Klaus Wiesehügel, Schering-Betriebsrätin Nadine Franz sowie BMW-Gesamtbetriebsrat Manfred Schoch - liegen jetzt, ergänzt durch weitere Debattenbeiträge, in Buchform vor. Aus dem 142-seitigen Papier veröffentlicht ND im Folgenden in Auszügen das 5. Kapitel »Die Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung«.

Die Rentenversicherung steht unter Druck. Die lang anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die Fragmentierung der Beschäftigungsverhältnisse sowie die Überfrachtung mit den Folgekosten der Deutschen Einheit belasten die Rentenkassen. Die Zukunft hält weitere große Herausforderungen für die gesetzliche Rentenversicherung bereit. Die Vorschläge der Rürup-Kommission entwickeln die gesetzliche Rentenversicherung nicht weiter und reagieren nur auf einen Teil der Herausforderungen. Die wichtigsten Beschlüsse der Kommission beschäftigten sich mit folgenden Fragen:

Anhebung der Regelaltersgrenzen: Ab 2011 soll das gesetzliche Rentenzugangsalter von 65 auf 67 steigen. Die Anhebung soll von 2011 an in 24 Schritten erfolgen. Ab 2034 gälte das neue gesetzliche Rentenalter - erstmals für den Geburtsjahrgang 1969. Auch die vorzeitigen Rentenzugänge für Schwerbehinderte sollen angehoben werden (auf 62 Jahre).
Erwerbsminderungsrenten und Härtefallregeln: Die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters soll begleitet werden von Veränderungen im Erwerbsminderungsrecht. Zumindest langfristig sollen durch den Übergang zu einer »abstrakten Betrachtungsweise« Ausweichtendenzen bekämpft werden. Durch Härtefall- und Vertrauensschutzregeln soll die Anhebung »verfassungsfest« gemacht werden.
Senkung des Rentenniveaus: Das Rentenniveau soll nach Willen der Kommissionsmehrheit ab 2005 durch einen »Nachhaltigkeitsfaktor« abgesenkt werden. Der Faktor soll das Verhältnis von Versicherten zu RentnerInnen so gewichten, dass die politisch gesetzten Beitragsziele (20 Prozent im Jahr 2020 und 22Prozent im Jahr 2030) eingehalten werden können.
Reform der kapitalgedeckten Altersvorsorge: Bezüglich der »Riester-Rente« wird u. a. vorgeschlagen, dass der förderberechtigte Personenkreis auf alle Steuerpflichtigen ausgeweitet und die Höchstbeiträge dynamisiert werden sollen. Daneben wird eine Verbesserung der Kostentransparenz und der Vergleichbarkeit der Angebote gefordert.
Familienlastenausgleich und Hinterbliebenenversorgung: Der Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wird insgesamt als ausreichend angesehen. Ebenso werden Veränderungen im Hinterbliebenenrecht nicht für notwendig gehalten.

Kommission nahm ihren
Auftrag nicht ernst
Wir sind davon überzeugt, dass die solidarischen Sozialversicherungssysteme nur dann eine Zukunft haben, wenn ihre solidarische Basis gestärkt wird. In der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit wird über das Modell der Erwerbstätigen- oder Bürgerversicherung als Weiterentwicklung der Sozialversicherungssysteme diskutiert. Die Gewerkschaften sind dabei, diese Debatte aufzugreifen und zu prüfen, ob die Erwerbstätigenversicherung eine sinnvolle Reformoption darstellen kann.
Bedauerlicherweise hat die Mehrheit der Kommission sich einer vertieften Diskussion der damit zusammenhängenden Fragen versperrt. Dies steht im klaren Widerspruch zum Auftrag der Bundesregierung an die Rürup-Kommission. Darin wurde der Kommission aufgegeben, die Absicherung der zunehmend pluralisierenden Erwerbsbiografien zu berücksichtigen.
Die Fixierung der Kommission auf die politisch gesetzten Beitragsziele und die Entscheidung gegen die Erwerbstätigenversicherung im Bereich der Rentenversicherung verengten die Diskussion zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf einige wenige Stellschrauben: die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die weitere Senkung des Rentenniveaus und die Erhöhung der Abschläge.
Grundsätzlich wirken sich lange Erwerbs- und Versicherungsbiografien in der jetzigen Rentensystematik positiv auf die Rentenhöhe aus. Faktisch sind aber Personen, deren Erwerbsbiografien durch den frühen Eintritt ins Erwerbsleben und einen langen Verbleib in Erwerbstätigkeit gekennzeichnet sind, häufig benachteiligt. Personen mit hohen körperlichen oder psychischen Belastungen bzw. mit ungesunden Arbeitsbedingungen - vor allem gewerbliche Arbeiter, aber auch im Angestelltenbereich - haben große Schwierigkeiten, nach einem frühen Eintritt bis zum Rentenalter durchzuarbeiten. Dies sollte künftig beim Renteneintritt berücksichtigt werden. Die Erwerbsminderungsrenten reichen dazu nicht aus, dafür sind deren Kriterien zu eng. Sie erfassen die psychischen und physischen Folgen jahrzehntelanger Berufstätigkeit sowie die Realitäten auf dem Arbeitsmarkt nur ungenügend. Dies wiegt umso schwerer, als es sich beim angesprochenen Personenkreis selten um Erwerbstätige in höheren Lohngruppen handelt, die problemlos eine umfassende private Eigenvorsorge für das Alter finanzieren können.
Wir sind uns der Probleme bewusst, die mit der Berücksichtigung der skizzierten Folgen langjähriger Erwerbstätigkeit bei der Gewährung von Renten verbunden sind. Wegen der schwierigen Einzelfallbetrachtung plädieren wir für pauschale Lösungen. So haben wir vorgeschlagen, langjährig Versicherten künftig nach spätestens 44 Jahren den Renteneintritt auch vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters ohne Abschläge zu ermöglichen. Dementsprechende Initiativen wurden in der Rürup-Kommission allerdings abgelehnt.
Die Rürup-Kommission schlägt die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 67 vor. Die Vertreter der Gewerkschaften haben diesen Beschluss abgelehnt. Zurzeit erreichen die wenigsten ArbeitnehmerInnen das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65. Das reale und das gesetzliche Renteneintrittsalter klaffen erheblich auseinander. Die Arbeitsmarktlage verhindert nicht nur aktuell eine hohe Erwerbsbeteiligung. Auch die Rürup-Prognosen für die Zeit ab 2010 sagen nur langsam abnehmende Arbeitslosenzahlen voraus. Damit wird sich der Arbeitsmarkt insbesondere für ältere ArbeitnehmerInnen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anhebung beginnen soll, noch sehr schwierig darstellen. Ohne gravierende beschäftigungspolitische Verbesserungen verschärft sich zudem durch die längere Lebensarbeitszeit die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt - z. B. zu Lasten von BerufseinsteigerInnen oder von Menschen mit Handicaps.
Die formale Verlängerung der Erwerbsphase über ein höheres gesetzliches Rentenalter ohne reales Erwerbsangebot und Einzahlungsmöglichkeiten in die Rentenversicherung droht eine steigende Zahl älterer Menschen in die Armut zu drängen. Die Erwerbsbiografien könnten zum Ende hin »ausfransen«: Dem Ausscheiden aus dem Betrieb, z. B. mit Anfang 60, kann so eine quälende Lebensphase folgen, in der Arbeitslosengeld, das neue Arbeitslosengeld II oder auch Krankengeld bezogen werden müssen, weil die Verrentung in weite Ferne gerückt ist.
Außerdem weigerte sich die Kommission, die Anhebung des Rentenalters sozial verträglich auszugestalten: Es werden zwar Übergangsfristen vorgeschlagen, um den verfassungsmäßig gebotenen Vertrauensschutz zu gewähren. Davon abgesehen allerdings, sind keine Sonderregelungen für erwerbsgeminderte, schwerbehinderte und langzeitarbeitslose Versicherte vorgesehen. Selbst langjährig Versicherte, die bereits in frühen Jahren in das Erwerbsleben traten und für die ein Rentenalter 67 bedeuten würde, bis zu 50 Berufsjahre hinter sich bringen zu müssen, sollen nach dem Willen der Rürup-Kommission keine sozial verträgliche Abfederung erhalten.
Stattdessen beschloss die Rürup-Kommission, dass geprüft werden solle, ob die Erwerbsminderung mittelfristig der »abstrakten Betrachtung« unterzogen werden soll. Das würde bedeuten, dass die Offenheit des Arbeitsmarkts für Erwerbsgeminderte, die noch zwischen drei und sechs Stunden pro Tag arbeiten können, keine Rolle mehr bei der Gewährung von Erwerbsminderungsrenten spielen würde. Statt Menschen, die durch ein langes Erwerbsleben stark belastet sind, in der Erwerbsminderungsrente einen Ausweg einzuräumen, wenn eine berufliche Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts nicht mehr möglich oder wahrscheinlich ist, sind die Rürup-Vorschläge zur Erwerbsminderungsrente darauf gerichtet, »Ausweichtendenzen« zu verhindern.
Ignoriert wurde in der Diskussion um eine Anhebung des Renteneintrittsalters, dass die Abschaffung der Altersrenten für Frauen und der Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit ab 2012 - wie sie bereits im »Rentenreformgesetz 1992« beschlossen wurden - bereits zu einer deutlichen Verschärfung der Rechtslage beiträgt. Die Abschläge, die nunmehr bei einem vorzeitigen Rentenzugang in Kauf genommen werden müssen, tragen bereits jetzt, nur zwei Jahre nach In-Kraft-Treten, zu einem steigenden tatsächlichen Rentenalter bei. Auch Schwerbehinderte und Erwerbsgeminderte sind von den Abschlägen betroffen. Es macht Sinn, vor einer Anhebung des gesetzlichen Rentenalters die Wirkungen dieser Neuregelungen zu beobachten und zu gewichten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sich die Arbeitsmarktlage von Älteren verbessert und welche sozialen Folgen die bereits vollzogene Anhebung des Rentenalters für Schwerbehinderte und Erwerbsgeminderte erzeugt. Auf einen solchen Ausflug in die soziale Realität wollte sich die Mehrheit in der Kommission nicht einlassen.

Reform zielt vor allem
auf stabilen Beitragssatz
Die Reformmaßnahmen der Rentenreform 2001 sollten unter dem Gesichtspunkt der »Beitragssatzstabilität« dafür Sorge tragen, den Beitragssatz bis zum Jahr 2020 nicht über 20 und bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent ansteigen zu lassen. Um dies zu verhindern, wird vorgeschlagen, die künftige Rentenentwicklung noch weiter zu dämpfen. Das wichtigste Instrument hierfür ist der Einbau eines »Nachhaltigkeitsfaktors« in die Rentenformel.
Zusätzlich soll die bisherige Berechnungsbasis für die Rentenanpassungen - die Einkommensentwicklung aller abhängig Beschäftigten - umgestellt werden auf die Entwicklung nur der versicherungspflichtigen Einkommen. Damit bleibt die Entwicklung der Einkommen von Beamten und der Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze außen vor. Die AutorInnen (dieses Minderheitenvotums - d.R.) haben diesen zweiten Vorschlag mitgetragen: Er ist sozialpolitisch vertretbar, weil er aller Voraussicht nach zu keiner wesentlichen Verschlechterung der Rentenentwicklung führt. Zum anderen, ist er systematisch gut begründet: Er bindet die Rentenentwicklung an die Einkommensentwicklung der versicherungspflichtigen ArbeitnehmerInnen.
Den »Nachhaltigkeitsfaktor« hingegen lehnen wir ab. Der Faktor soll das Verhältnis von Versicherten zu RentnerInnen berücksichtigen und so gewichten, dass die politisch gesetzten Beitragsziele (20 Prozent im Jahr 2020 und 22 Prozent im Jahr 2030) eingehalten werden können. Er suggeriert mit der Berücksichtigung des Verhältnisses von Versicherten zu LeistungsempfängerInnen eine stichhaltige inhaltliche Begründung - erst durch die Gewichtung des Verhältnisses durch den Gewichtungsparameter »Alpha« erhält der Faktor allerdings seine echte Funktion, das Rentenniveau auf das Ziel der Beitragssicherung hin zu definieren. Es würde dadurch darauf verzichtet, eine sozialpolitisch definierte Zielgröße für das Sicherungsniveau festzulegen. Nach den Annahmen der Rürup-Kommission würde der Nachhaltigkeitsfaktor zu einer Absenkung des Bruttorentenniveaus um ca. 2,2 Prozentpunkte führen. Dies entspricht einer Absenkung der Standardrente (preisbereinigt; Schätzung für 2030) von 1662 Euro auf 1576 Euro. Bei Umsetzung dieses Vorschlags wären die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für die Versicherten nicht mehr kalkulierbar. Das für die langfristige Vorsorgeplanung notwendige Vertrauen in die Umlagefinanzierung wird damit untergraben, die Vorsorgeplanung selbst erschwert. Schließlich verliert die »Sicherungslücke« zwischen gesetzlicher Rente und dem individuell angestrebten Lebensstandard durch das volatile Sicherungsniveau an Planbarkeit. Gleichzeitig verliert die mit der »Riester-Rente« verknüpfte Behauptung, mit dem kapitalgedeckten ergänzenden Baustein könne langfristig das Brutto-Gesamtversorgungsniveau im Wesentlichen gehalten werden, an Glaubwürdigkeit.
Die geplante Senkung des Rentenniveaus wird insbesondere diejenigen im unteren und mittleren Einkommensbereich treffen. Die Zahl der Renten auf oder unter Sozialhilfeniveau wird zunehmen. Die Grundsicherung kann dies nur begrenzt auffangen; wird sie noch häufiger zum Ausfallbürgen des Rentenversicherungssystems, leiden darunter insbesondere auch die Kommunen, da sie die Kosten der Grundsicherung tragen.
Die Rolle der kollektiven Formen der kapitalgedeckten Vorsorge - die betriebliche Vorsorge, möglichst tarifvertraglich gestaltet - sollte weiter gestärkt werden. Unter den Gesichtspunkten einer optimalen Rendite, eines hohen Anlageschutzes und der Transparenz der Anlagen bietet sie eindeutige Vorteile. Zudem kann hier eher die Beteiligung der Arbeitgeber an den Aufwendungen erreicht werden. Neben der Vereinheitlichung der Förderbedingungen schlagen wir weitere Veränderungen vor, um die betriebliche Altersvorsorge zu optimieren:
Mittelfristig stellt die obligatorische betriebliche Altersvorsorge eine wünschenswerte Weiterentwicklung der kapitalgedeckten Altersvorsorge dar. Dabei sollte eine finanzielle Beteiligung des Arbeitgebers vorgesehen sein. Tarifvertragliche Regelungen können dabei eine große Rolle spielen. Vor allem kann eine flächendeckende Ausbreitung betrieblicher Altersversorgung ohne eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, diese einzurichten, nicht erreicht werden. Diese ist aber - insbesondere auf Grund der Sicherungslücke zwischen gesetzlicher Rente und einem Lebensstandard sichernden Alterseinkommen - sozialpolitisch notwendig. Eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge findet allerdings nur dann unsere Zustimmung, wenn sie mit einer finanziellen Beteiligung der Arbeitgeber an den Vorsorgeaufwendungen verbunden wird. Wir sind der Ansicht, dass die mehrheitlich verabschiedeten Vorschläge die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung aus sozialpolitischen Gründen nicht gewährleisten. Es kann festgestellt werden, dass die Rürup-Kommission im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung kaum innovative Ideen entwickelt hat. Die Stellschrauben der konventionellen Rentenpolitik - Rentenalter, Rentenanpassung und Abschläge - waren bereits vorher ausführlich diskutiert. Die Ausgestaltung der einzelnen Reformbestandteile besitzt ebenfalls keinen neuartigen Charakter. Vor allem konzentrierte sich die Kommission entgegen ihrem Auftrag nur auf die Herausforderung der Demographie; genderorientierte Fragestellungen und der Wandel der Arbeitswelt wurden beispielsweise ignoriert.

Langzeitarbeitslose und
Frauen größte Verlierer
Verlierer der vorgeschlagenen Veränderungen werden die bereits benachteiligten Menschen in unserer Gesellschaft, wie Schwerbehinderte und Erwerbsgeminderte, sein, aber auch diejenigen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben - insbesondere Frauen oder Langzeitarbeitslose. Die gravierenden Auswirkungen der Reformvorschläge werden nicht bei einzelnen Maßnahmen für sich betrachtet sichtbar, sondern erschließen sich erst bei einem Zusammenspiel aller Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Rentenrechts.
Erstens wurden seit dem »Rentenreformgesetz« 1992 mehrere deutliche Einschnitte in den Leistungsumfang vorgenommen: unter anderem durch Verkürzung der Anrechnungszeiten für Ausbildung und die Anhebung der Altersgrenzen; durch die Senkung der Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger und die Neuordnung der Erwerbsminderungsrenten; sowie durch die Absenkung der Hinterbliebenenrenten, die inflationsorientierte Rentenanpassung im Jahr 2000 und die Absenkung des Rentenniveaus durch die »Riester- Reform«. Dem stehen zwar auch rentensteigernde Maßnahmen gegenüber, insbesondere durch familienpolitisch orientierte Verbesserungen. Insgesamt aber wurden die Leistungen in einem Umfang gemindert, der im Jahr 2030 mindestens zehn Beitragspunkte ausmacht (d. h. ungefähr um ein Drittel).
Die von der Mehrheit der Kommission vertretenen Leistungskürzungen wurden mit dem Hinweis auf Generationengerechtigkeit begründet. Dem ist entgegenzuhalten,

dass der Versuch, gerechte Lösungen zwischen den Generationen anzustreben, nicht die intragenerative Gerechtigkeit verletzen darf; die dargestellten Belastungen werden aber vor allem die treffen, die überwiegend auf gesetzliche Renten angewiesen sind - also vornehmlich ehemals einkommensschwache ArbeitnehmerInnen;
dass die Belastungen zum Teil erst langfristig ihre volle Wirkung entfalten und deshalb in besonderem Maße die RentnerInnengeneration treffen werden, die vorher die geburtenstarken Jahrgänge in deren Ruhestandszeit finanziert hat; und
dass Eingriffe in das Rentenniveau der aktuellen RentnerInnen-Generation immer auch Leistungskürzungen für künftige Generationen bewirken.

Diese Kritik am Gerechtigkeitsbegriff der Mehrheit der Kommission wiegt auch deshalb besonders schwer, weil andere gewichtige Herausforderungen - die Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit und die Fragen der Erwerbstätigenquote, der Innovationskraft der Wirtschaft und die Überfrachtung der Sozialen Sicherungssysteme mit Aufgaben, die gesamtgesellschaftlichen Interesse sind -, durch die Reformansätze nicht angegangen werden. Vertrauen, das ein auf lange Zeit angelegtes System dringend benötigt, wird durch die in Aussicht gestellten niedrigeren Renten weiter zerstört. Dem Trend, Altersrisiken privat abzusichern und sich so vom Generationenvertrag zu lösen, wird dadurch Vorschub geleistet. Das Zusammenwirken der dargestellten Maßnahmen verschlechtert die finanzielle Situation der älteren Menschen erheblich. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit von Altersarmut. Damit gerät einer der wichtigsten sozialpolitischen Erfolge der letzten Jahrzehnte in Gefahr.
Wir haben mit dem Anstoß, über die mittel- und langfristige Einführung einer Erwerbstätigenversicherung eine gesellschaftliche Debatte zu führen, mit der Forderung zur Gestaltung eines altersgerechten Arbeitsmarkts und den Vorschlägen zur Weiterentwicklung der kapitalgedeckten Vorsorge konstruktive Gegenvorschläge gemacht. 

Ein Buch mit den Minderheitenvoten der gewerkschaftlich orientierten Rürup-Kommissionsmitglieder präsentierte die DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer am Donnerstag.
Ursula Engelen-Kefer/Klaus Wiesehügel (Hrsg.), Sozialstaat - solidarisch, effizient, zukunftssicher. Alternativen zu den Vorschlägen der Rürup-Kommission, VSA-Verlag 2003,...

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