Nahrungsaufnahme und Körperbilder im Lauf der Zeit
Ute Holfelder
Lesedauer: 6 Min.
Von der "Ananas-Diät" über die "Ich-nehme-ab-Diät" bis hin zur "Zehn-Tage-Wunderkur" - unzählige verschiedenster Ernährungspläne verheißen lästige Pfunde loszuwerden. Jedes Jahr ist es meist im Frühjahr wieder so weit und in den einschlägigen Frauenmagazinen wird eine neue Runde im Diätkarussell eingeläutet. Jede Menge Tipps werden gegeben, auf welchem Wege die Bikini-Form möglichst mühelos und nachhaltig erreicht werden könne. Schlankheit ist in der westliche Welt zu einem gesellschaftlichen Muss geworden, dem sich kaum jemand entziehen kann. Weibliche Models, unsere heimlichen Vorbilder, bringen 23 Prozent weniger Gewicht auf die Waage als der Durchschnitt aller Frauen, vor 25 Jahren waren es nur acht Prozent weniger.
Übergewicht ist nicht nur unschön, sondern auch gesundheitsschädigend, so die Volksmeinung wie auch die Mediziner. Wo aber genau die Grenzen zwischen so genanntem Unter-, Normal-, Ideal- und Übergewicht verlaufen, ist relativ und sie werden immer neu festgelegt. Nicht aus-schließlich in Kilogramm messbar ist zudem die subjektive Einschätzung des eigenen Körpergewichts: Über 40 Prozent der normalgewichtigen Mädchen im Alter von 11 bis 19 halten sich für zu dick. Die Krankheiten Magersucht und Bulimie sind auf dem Vormarsch und gleichzeitig werden immer abstrusere Diäten erfunden.
In der Antike anderer Gesundheitsbegriff
Der Begriff "Diät" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Lebensweise, Lebenskunst" (diaita). Heute bezeichnet er die medizinisch regulierte Ernährung, die Kost, die bei bestimmten Krankheiten zu verabreichen ist, aber auch die Auswahl an Lebensmitteln, die möglichst schlank machen und erhalten soll. In der Antike war die "Diätetik" einem weitaus umfassenderen Konzept verpflichtet. Seelische und körperliche Gesundheit regulierten sich nach dieser Auffassung durch sechs Faktoren:
Licht und Luft
Essen und Trinken
Bewegung und Ruhe
Schlafen und Wachen
Ausscheidungen
Affekte
Die geregelte Zufuhr von Essen und Trinken war also nur ein Teil dessen, was zur Erhaltung von Gesundheit beitrug und wurde nicht isoliert von den anderen Faktoren betrachtet. Im Gegenteil, laut damaliger Lehrmeinung hingen die verschiedenen Teilbereiche aufs Engste miteinander zusammen.
Das Mittelalter setzte Essen und Trinken in Beziehung zu Gott. Jemandem Speise und Trank zu geben galt als Akt der Barmherzigkeit, der am Tag des Jüngsten Gerichts in die Waagschale geworfen würde. Im Unverstand zu schlemmen hingegen konnte die schlimmsten Folgen haben: Das Christentum verurteilte die Völlerei ebenso wie geschlechtliche Ausschweifungen - diese Laster wurden mit der Hölle bestraft. Gepredigt wurde Mäßigkeit und selbstverständlich gab es, so wie in den meisten anderen Religionen auch, bestimmte Fastenzeiten einzuhalten. Die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern ist noch immer traditionelle Fastenzeit der Christen, früher sollte auch im Advent gefastet werden. Bezeichnenderweise lösten sich "magere" und "fette" Zeiten immer gegenseitig ab: Bevor die entbehrungsreichen Wochen nach Fastnacht folgen, wird das typische, ausgesprochen fette, Schmalzgebäck verzehrt, das dem "schmotzigen" (auch "fetten" oder "schmalzigen") Donnerstag zumindest im Süden Deutschlands zu seinem Namen verhalf. Nach überstandener Fastenzeit gibt es an Ostern wie an Weihnachten ein ganz besonders üppiges Festmahl.
Knusperhäuschen und andere Leckereien
Zu Zeiten, als für die meisten Menschen das tägliche Brot noch keine Selbstverständlichkeit war und Missernten große Hungersnöte nach sich zogen, waren solche Festtage die Höhepunkte des Jahres. Die Alltagskost war relativ eintönig, und nicht immer konnte jeder satt vom Tisch aufstehen. In Notzeiten musste man sich mit kulinarischen Märchen trösten: Da gab es Kochtöpfchen, die auf Geheiß süßen Brei kochen, Knusperhäuschen aus Brot und Kuchen mit Fenstern aus Zucker und das herrliche Schlaraffenland, wo einem gebratene Hühner ins Maul fliegen und Wein aus den Brunnen fließt. Im wahren Leben hingegen wurden solche Träume für den größten Teil der Bevölkerung nur an Taufen, Hochzeiten, Erntedank, Ostern und Weihnachten ansatzweise verwirklicht.
Über Lebensmittel im Überfluss zu verfügen war bis ins 18. Jahrhundert Ausdruck gesellschaftlichen Prestiges. Die absolutistischen Fürsten verstanden die Gastmähler als einen wichtigen Akt der Repräsentation, an dem nur ausgesuchte Personen teilnehmen durften. Am französischen Hof galt es als eine der größten Auszeichnungen, an der Tafel des Königs sitzen zu dürfen. Hier wurde über viele Stunden hinweg ausgiebig geprasst. Dementsprechend zeugte eine gewisse Leibesfülle von einer hohen gesellschaftlichen Stellung, denn wer konnte es sich schon leisten, so viel zu essen, dass er richtig Fett ansetzte?
Die ideale Taille
Erst seit etwa 200 Jahren wurde Schlankheit zum Leitbild für die gesellschaftlichen Oberschichten. Weibliche Schönheit bedeutete bis dahin nicht selten üppige Schönheit, was uns viele Maler, um nur Tizian oder Rubens zu nennen, überlieferten. Die ideale Frau der Renaissance ist gemäß einer Schrift des Italieners Agostino Nifo aus dem Jahr 1529 groß, breitschultrig, schmal in der Taille mit ausladenden rundlichen Hüften, eher molligen Händen, aber schlanken Fingern, mit eher gerundeten Beinen, aber kleinen Füßen. Das Barock führte dieses Körperbild weiter, volle Brüste, dicke Schenkel, breite Hüften und ein Doppelkinn galten den Zeitgenossen als Garant für Fruchtbarkeit, für gesegnete Mutterschaft.
Brust, Gesäß und Hüften betonte die Damenmode auch noch im 19. Jahrhundert. Jetzt kam es jedoch darauf an, Frauen von Stand möglichst zerbrechlich und zierlich erscheinen zu lassen, was durch Modellierung der Taille mittels eines Korsetts erreicht wurde. Die ideale Taille war so schmal, dass sie von zwei normal großen (Männer-)Händen umspannt werden konnte. Die eng geschnürten Korsetts beraubten den Frauen jegliche Bewegungsfreiheit und erzeugten Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden. Erst die Reformbewegung in den Jahren nach 1900 befreite die Frauen von diesem Martyrium.
"Die neue Frau" ertüchtigt sich
Das neue Schönheitsideal wurde nun die sportliche, schlanke, sachlich gekleidete Frau. Die "neue Frau" der 1920er-Jahre modellierte ihren Körper nicht mehr mit Hilfe des Korsetts, sondern wurde angehalten, sich durch körperliche Ertüchtigung selbst in Form zu bringen. Die Zeitschrift "Vogue" riet 1928 ihren Leserinnen, täglich mindestens eine halbe Stunde gymnastische Übungen zu machen und auf eine gesunde Ernährung sowie die Kalorien zu achten - solche Ratschläge sind uns auch im Jahr 2003 immer noch mehr als vertraut. Relativ neu ist jedoch die Entwicklung, dass Schönheitsideale auch für Männer verbindlicher zu werden scheinen. Während Jahrhunderte lang die Messlatte bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes für Frauen sehr viel höher lag als für Männer, geht heute der Trend dahin, auch von Männern nicht nur gepflegte, der jeweiligen Mode entsprechende, Kleidung zu erwarten, sondern ebenso einen schlanken und durchtrainierten Körper, möglichst mit Waschbrettbauch.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.