nd-aktuell.de / 28.06.1993 / Politik / Seite 7

Hanoi wirbt um Investoren

JÖRG AUENSEE

Auf seiner zweiwöchigen Europareise macht Vietnams Ministerpräsident Vo Van Kiet dieser Tage in Deutschland Station. Sein erklärtes Ziel: die Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen seinem Land und der EG. Mit einiger Berechtigung wird der Premier darauf hinweisen, welches Potential Vietnam und seine 70 Millionen Bewohner auch für deutsche Investoren darstellen.

Innerhalb der letzten fünf Jahre hat Vietnam 626 Auslandsprojekte mit einem Wertumfang von 5,3 Mrd. US-Dollar bewilligt. Ausländische Firmen werden durch Vietnams billige, gut ausgebildete Arbeitskräfte angelockt. Das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf liegt unter 40 Mark, aber mehr als 90 Prozent der Vietnamesen können lesen und schreiben. Dazu kommen die Ressourcen an Erdöl und Kohle sowie die Fortschritte der Reformpolitik. Allein 1992 wuchs Vietnams Industrieproduktion um 14 Prozent, die Lebensmittelproduktion um 9 Prozent.

Probleme bereitet der Mangel an Erfahrung mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmanagement vor allem bei der juristischen Absicherung aus-

ländischer Projekte. Auch Klagen über, die Langsamkeit der vietnamesischen Bürokratie sind nicht selten. Der Zustand von Straßen, Brücken und Häfen läßt ebenfalls noch viele Wünsche offen. Um so gefragter sind eben ausländische Gelder. Größter Investor ist bisher Taiwan, gefolgt von Hongkong, während Frankreich und Japan um den dritten Platz streiten.

Paris müht sich um die Wiederherstellung bilateraler Beziehungen mit seinen ehemaligen Kolonien, um den Wegfall der Märkte in Mittel- und Osteuropa zu kompensieren. Der dortige Wirtschaftszusammenbruch nach dem Ende des Sozialismus hat die Krise der französischen Industrie verschärft, so daß man nach neuen Abnehmern für Kommunikations- und Energieversorgungsanlagen sucht.

Auch in den Augen der japanischen Geschäftswelt hat Vietnam an Bedeutung gewonnen. Nicht von ungefähr nahm Tokio im November letzten Jahres die offizielle Entwicklungshilfe wieder auf. Die Errichtung einer Zementfabrik (Jahreskapazität 2 Mio Tonnen) wird sondiert, der Bau einer Reihe von Industrieanlagen im Norden Vietnams

befindet sich im Planungsstadium. Deren Produkte sollen auch in die Nachbarländer exportiert werden: Im Hinterland, dem Süden Chinas mit seinen Wirtschaftssonderzonen, leben schließlich mehr als 500 Millionen potentielle Käufer. Insgesamt wurden bis Ende 1992 rund dreißig japanische Investmentprojekte in Vietnam genehmigt.

Mehr als nur ein Wermutstropfen für Hanoi ist, daß die Wirtschaftskontakte von USA-Firmen auf Geheiß Washingtons nach wie vor stark eingeschränkt sind. Vietnam versucht, Tokio als Mittler zur USA-Regierung zu gewinnen, und auch in Bonn dürfte Vo Van Kiet in ähnlicher Absicht vorstellig werden. Vor allem aber wird er deutsche Unternehmen zu Investitionen in einem Land ermutigen wollen, in dem immerhin Tausende deutschsprechende Arbeitskräfte auf sie warten.

Und dies, obwohl Bedenken angesichts des Versuches, Sozialismus und Marktwirtschaft zu verbinden, nicht ausbleiben. So warnte die Armeezeitung „Quan Doi Nhan Dan“ unlängst vor feindlichen Versuchen, die Revolution in Vietnam durch friedliche Evolution zu zerstören.