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  • Politik
  • Ein ungewöhnliches Präsidentschafts-Duo wird nun BOLIVIENS Geschicke lenken

Dem „Gringo“ steht ein Indianer zur Seite

  • ERWIN DETTLING, Mexiko
  • Lesedauer: 3 Min.

Das hat es in der bolivianischen Geschichte noch nie gegeben: Ein „Gringo“ und ein Ayamara-Indianer werden ab August dieses Jahres Präsident und Vizepräsident des Landes sein. Der steinreiche, im scharfen Wind von Chicago aufgewachsene Minenbaron Gonzalo Sanchez de Lozada nahm sich den Ayamara-Indianer Victor Hugo Cardenas von der indigenischen Revolutionären Befreiungsbewegung Tupaj Katari, groß geworden in einer Lehmhütte am Ufer des Titicaca-Sees, an die Seite. De Lozada versprach den Indianern im Wahlkampf mehr politische Macht und eine weitgehende Sprachautonomie in den Schulen und gewann so die mehrheitlich indianische Bevölkerung Boliviens.

Da die Nummer zwei der Präsidentschaftswahlen, Ex-Diktator und General a. D. Hugo Banzer, angesichts der klaren Resultate inzwischen seine präsidialen Ambitionen aufgegeben hat, kann sich de Lozada seiner Sache ganz sicher sein. 1989 hatte er ja schon einmal den ersten Wahlgang gewonnen, war dann aber bei der Stichwahl im Parlament Jaime Paz Zamora unterlegen.

Als nach dem Wahlsieg in La Paz das große Siegesfest der National-Revolutionären Bewegung (MNR) stieg, prallten die fremden Welten unter dem grellen Licht der Kronleuchter aufeinander. Der designierte Präsident trat mitseiner Frau Ximena Iturralde in Abendgarderobe und vollendeter Eleganz auf. Die Gattin des zukünftigen Vize, Lydia Cardenas, beeindruckte die politische Creme mit einer au-

thentischen Ayamara-Tracht. Sie besteht aus einem „ Chaplin-Hut, einer Rüschenbluse, einem halben Dutzend übereinander angezogener farbiger Röcke und Sandalen.

Das Duo de Lozada und Cardenas hat aber noch weitere exotische Berührungspunkte. Für beide ist Spanisch z. B. eine Art Fremdsprache. De Lozada, Sohn einer Großgrundbesitzer-Familie, die in den 40er Jahren ins Exil mußte, verbrachte die ersten 20 Jahre seines Lebens in den USA und hat bis heute seinen amerikanischen Akzent nicht ablegen können. Cardenas' Muttersprachen sind Quechua und Ayamara. Während de Lozada Philosophie studierte, wirkte Cardenas im bolivianischen Hinterland als Lehrer und Universitätsprofessor. Und während

der eine später mit Öl- und Minengeschäften steinreich wurde, eignete sich der andere die verwinkelten Weisheiten der bolivianischen Indianer an.

De Lozada ist kein unbeschriebenes Bla.tt in Bolivien. Als er 1953 zurückkehrte, begann er mit seiner Firma (Telecine) Werbe- und Dokumentarfilme zu drehen. 1957 stieg er ins Öl-, 1962 ins Minengeschäft ein. In den 70 er Jahren war er dann Besitzer der Compania Minera del Sur, des größten Bergbauwerkes von Bolivien. 1985, als Victor Paz Estensoro im Namen der MNR zum Präsidenten gewählt wurde, amtierte de Lozada als Planungsminister. Er gilt als einer der Architekten jener neoliberalen Wirtschaftspolitik, die zwar die wirtschaftlichen Bedingungen verbesserte, aber die Mehrheit der 7,5 Millionen Bolivianer im tiefen sozialen Elend beließ. 70 Prozent von ihnen leben nach Erhebungen heute in Armut, das Land gilt als eines der rückständigsten in Lateinamerika. Trotzdem will de Lozada die Politik seines Vorgängers Jaime Paz Zamora fortsetzen, weitere Staatsunternehmen privatisieren und das Sozialsystem dezentralisieren.

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