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  • Wirtschaft und Umwelt
  • An ATLAS beißen sich IG Metall und die Biedenköpfe wegen der Treuhand die Zähne aus

Gemeinsam in einem Boot, aber nicht am Ruder

  • HANS-WERNER OERTEL
  • Lesedauer: 4 Min.

In Bonn soll es eine einflußreiche wie gewichtige CDU-Größe geben, dem die Sachsen mit ihrem ATLAS-Modell nicht nur bis zum Hals sondern schon bis zum Scheitel stehen. Der mit solcherart Reden kürzlich vor heimischen IG Metallern in Dresden versuchte, die Lacher auf seine Seite zu ziehen, erntete allenfalls Zwischenrufe. Und das, obwohl sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe aus Döbeln/Grimma/Oschatz deutlich für eine Staatsholding ausgesprochen und das Jahresende 1993 beschwörerisch als „letzte Chance für die sächsische Industrie“ bezeichnet hatte. Auch nach seiner Wortattacke gegen den sächsichen Treuhandchef Föhr „Merkt ihre Präsidentin denn nicht, was sie in Deutschland anrichtet“ rührte sich keine Hand zum Applaus. Denn auch wer mit der Wahrheit zu spät kommt, ...

Ein halbes Jahr nach der Kreativgeburt ATLAS, der von der Freistaat-Regierung mit den Gewerkschaften gemeinsam umgesetzten Idee von einer landesweiten Sanierungsgesellschaft, droht das Kleine jetzt an gluckenhafter Mutterliebe zu ersticken. „Mama“ Treuhand nämlich krallt sich am Besitz seiner industriellen Kernchen fest, zeigt sich sanierungsfeindlich und gewährt deren Geschäftsführern nach Gutdünken lange oder kurze Leine.

Grund genug für IG-Metall-Landeschef Hasso Düvel und Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU), in das glei-

che Klagelied über die Breuel-Behörde einzustimmen. Grundtenor von beiden am Freitag in der ehemaligen SED-Parteischule an der Elbe: Wir müssen der Treuhand Paroli bieten, sonst gehen dort, wo Teile der deutschen Industrie ihre Wiege hatten, noch in diesem Jahr endgültig die Lichter aus.

Eigentlich sollte die Institution ATLAS, die 179 Sachsenbetriebe als bedeutsam eingestuft hatte, viele davon unter dem Dach regionaler, Strukturpolitik mit Landesgeldern für die Privatisierung aufpäppelt und so Arbeitsplätze erhält, das verhindern. Doch das

Konstrukt, so Düvel zum zustimmend nickenden Schommer, hat „nach wie vor einen entscheidenden Fehler“. Solange das Land damit nicht die Möglichkeit hat, sich auch gegen die nicht vorhandene oder falsche Konzeption der Treuhand durchzusetzen, sei ATLAS sinnlos.

„Die IG Metall hat sich eingelassen, mit dem Wirtschaftsminister in einem Boot zu sitzen, beide kommen aber an das Ruder nicht heran“, mahnte Düvel schnelle Entscheidungen an. Und fragt den Treuhand-Statthalter: „Warum ist die Treuhand nicht bereit, diese Chance zu begreifen?“.

Föhr seinerseits umging dieses offensichtliche Bagatellthema und versprach, bevor er schleunigst den Saal verließ, Besserung der Treuhand - allerdings betraf das die hauseigenen Schulungen für Ostgeschäftsführer. Nach drei Jahren Marktwirtschaft hat in Sachsen die Entindustrialisierung offensichtlich ein neues Tempo erreicht.

Düvel: „Jede Woche drei bis vier Konkurse“ und „Sanie-

rungen in der nächsten Zeit wären pure Glücksfälle“. Schommer: Die Entwicklung ist „dramatisch“; „unter der Ägide der Treuhand dümpeln viele Betriebe dahin“. Ein Betriebsrat: Im Chemnitzer Werkzeugmaschinenbau sollen laut Plan von ehemals 12 000 nur noch 950 Arbeitsplätze bleiben.

Den einzigen Ausweg, den sonst unvermeidlichen Niedergang der sächsischen Industrielandschaft zu stoppen, sehen Gewerkschaften, Landesregierug und inzwischen wohl auch die sächsischen Bundestagsabgeordneten in einem radikalen Umschwenken der Treuhand. Die noch wenigen sächsischen Industrieperlen sollten aus der Treuhand herausgelöst und in eine staatliche Sanierungsholdig, eine Art marktwirtschaftliches Kombinat, überführt werden. Schommer: „Mit ATLAS haben wir ein vernünftiges Haus gebaut, aber es fehlt der Schlußstein und das ist die Unabhängigkeit von der Treuhand.“

Das „Sachsen-Memorandum“ der IG Metall signali-

siert für die noch verbliebenen Kerne im Land-, Werkzeugund Textilmaschinen- sowie im Waggonbau „akute Gefahr“. In dieser außergewöhnlichen Krisensituation, nämlich dann, wenn die Treuhand letztlich und allein nach isolierten betriebswirtschaftlichen Kriterien über das Schicksal der Betriebe entscheidet, müsse der Staat über diese Branchen vorübergehend seine schützende Hand halten. „Gefordert wird die sofortige Einrichtung einer Industrieholding unter industrieller (nicht staatlicher) Führung, unter deren Dach die restlichen regional bedeutsamen Unternehmen professionell saniert und damit wettbewerbsfähig gemacht werden können“.

Laut Sachsen-Memorandum müssen die dafür notwendigen Mittel von der Treuhand und zudem von Banken und privaten Investoren kommen. Notfalls müsse es auch eine direkte Landesbeteiligung an Einzelunternehmen oder an Unternehmensverbänden geben.

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