nd-aktuell.de / 28.06.1993 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Mehr als eine Million Wohnungen fehlt

Die deutsche Inflationsrate von mehr als vier Prozent ist in dieser Höhe vor allem der Preisentwicklung bei Mieten, staatlichen Dienstleistungen sowie den Leistungen der Kredit- und Finanzinstitute geschuldet. So muß in den Altbundesländern für eine Dreizimmerwohnung binnen Jahresfrist knapp zehn Prozent mehr bezahlt werden, in Ostdeutschland schlägt der Mietenanstieg gar mit 58 Prozent durch. Da zeichnet sich auch keinerlei Entspannung ab, denn ingesamt fehlen weit mehr als eine Million Wohnungen, und in Ostdeutschland mangelt es an einer mieterfreundlichen Sanierungspolitik für den Altbaubestand. Für immer mehr Menschen wird die finanzielle Belastung durch die Miete zu einem Schlüsselproblem der Haushaltsführung. ,

Nach dem geltenden Mietrecht können die Mieten innerhalb von drei Jahren um 30 Prozent erhöht werden. Selbst innerhalb der christdemokratischen Parteien herrscht Konsens, daß die Mietsteigerungen stärker gebremst werden müssen, weil in den nächsten Jahren keine ausgewogenere Marktsituation zu erwarten ist. Aber das vierte Mietrechtänderungsgesetz schmort seit Anfang 1991 bei den Gesetzgebern, denn die FDP hat die Beratung bislang torpediert mit dem Argument: Nur wenn in der Wohnungswirtschaft attraktive Preise zu erzielen sind, werde das Wohnungsangebot erweitert.

Aber auch das vorliegende Gesetz läßt dem Verwertungsdrang des Immobilienkapitals genügend Spielraum: Die Miete darf in drei **Jahrerrum 20 Prozent»steigen (in etlichen Ausnahmefällen noch stärkerkimd bei

Neuvermietung die ortsübliche Vergleichsmiete „nur“ um 20 Prozent überschritten werden (anderenfalls kann der Vermieter wegen einer Ordnungswidrigkeit verklagt werden). Außerdem soll die Obergrenze für Maklergebühren zwei Monatsmieten betragen.

Mit solchen Versuchen des Herumkurierens an Symptomen werden die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt aber kaum verbessert. Zudem bereitet Finanzminister Waigel im Rahmen seiner großen Sparoperation weitere Kürzungen beim Wohngeld vor. Und Wirtschaftsminister Rexrodt hat für das Bundeskabinett erklärt, daß an eine durchgreifende Neuordnung der Steuern im Immobilienbereich nicht gedacht ist. Es wird also dabei bleiben, daß ein steigender Anteil des Haushaltseinkommens für die Wohnungsmieten aufzuwenden ist.

Gerade die Wohnungswirtschaft ist ein Beleg für das prinzipielle Versagen jder sozialen Marktwirtschaft, die hier erst von der jetzigen Koalition Anfang der achtziger Jahre wieder voll durchgesetzt worden war. Nach einem Jahrzehnt Deregulierung ist die Lage dramatisch.

Eine grundlegende Neuordnung müßte sich auf folgende Punkte stützen: Einschränkung der privatkapitalistischen Verfügungsgewalt über Grund und Boden sowie ein Übergang vom Eigentums- zum Nutzungsrecht; strikte Besteuerung von Wertzuwächsen sowie eine Besteuerung nach Marktwerten; eine neue Förderungskonzeption für kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen. „

MARKUS ZORNOW