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Sozial- und Demokratieabbau kennzeichnen die BRD '93 / Referat von Gregor Gysi auf dem Parteitag in Berlin

  • Lesedauer: 3 Min.

Die BRD 1993 ist ziemlich genau das, wovor wir seit 1990 gewarnt haben. Großmachtund Großmannssucht grassieren, nationalistische, rassistische und neofaschistische Kräfte haben Zulauf und zumindest eine rechtsextreme Partei kann 1994 mit ihrem Einzug in den Bundestag rechnen. Von deutschem Boden soll wieder Krieg ausgehen. Und auf deutschem Boden hat etwas eingesetzt, das vielleicht als Krieg gegen unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bezeichnet werden muß. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die Situation 1993 mit der 1932/33 gleichstellen. Die Zahl und das Ausmaß der Anschläge mit rassistischem Hintergrund ist gegenwärtig allerdings wesentlich höher als in der Endphase der Weimarer Republik.

Vernichtet ist mehr als die Hälfte der ostdeutschen Arbeitsplätze, die soziale Spaltung Deutschlands tiefer als zum Zeitpunkt der Vereinigung. Mehr als 1 Million Menschen hat den Osten Deutschlands Richtung Westen verlassen. Die der Bundesregierung unterstehende Treuhandanstalt schaltet im Interesse der westdeutschen Konzerne mögliche ostdeutsche Konkurrenz aus und führt eine Enteignung der ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR durch, die historisch nur wenige Parallelen finden wird. Sie verschleudert deren erarbeitetes Eigentum an westdeutsche Banken, Industriekonzerne, Spekulanten und einen Adel, von dem wir kaum noch wußten, daß er so umfangreich existiert, daß er noch solchen Einfluß in einer modernen Gesellschaft haben könntei...)

Es lohnt sich doch, Marx zu kennen

Natürlich gibt es auch unübersehbare Vorzüge der bundesrepublikanischen Gesellschaft gegenüber der DDR: ein wesentlich höheres Maß an politischen und individuellen Freiheiten und Rechten, die Ostdeutsch* m.E. saJkWenig selbstbewußt .wahrnehmen, deren Maß und soziale Realie sierbarkeit zugleich aber von uns allen als unzureichend kritisiert werden muß, eine beträchtliche Pressefreiheit, die allerdings die Freiheit einschließt, die meisten Menschen und auch die PDS überwiegend von ihrer Nutzung auszuschließen; eine Währung, für die sich fast alles kaufen läßt, und ein Warenangebot, das auf vergleichsweise hohem Niveau ein kulturell reiches und gesundes Leben zumindest ermöglicht (...)

Die gegenwärtige Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist aber auch auf jenen Gebieten, auf denen ihre Fortschritte gegenüber der DDR lagen, von einer unübersehbar negativen Tendenz gekennzeichnet. Seit dem Dezember 1989 und insbesondere seit jener Zeit, als zuerst SPD-Politiker und dann erst Christ- und Freidemokraten einen schnellen Anschluß der DDR an die BRD forderten und betrieben, haben wir vor den sozial, kulturell und wirtschaftlich zerstörerischen sowie innen- und außenpolitisch gefährlichen Konsequenzen einer solchen Politik gewarnt und ihre Ergebnisse ziemlich sicher vorausgesagt. Die Ursachen für unsere diesbezügliche Fähigkeit war jedoch wesentlich simpler als angenommen, und wir haben keinen Grund, uns ihrer in besonderem Maße zu rühmen.

Erstens, das habe ich auf einem anderen Parteitag bereits erwähnt, lohnt es sich offensichtlich doch, Marx zu kennen und seine Methode für die aktuelle politisch-ökonomische Analyse anzuwenden.

Zweitens waren die Zusammenhänge und die zu erwartenden Resultate der von den etablierten Parteien und dem Kapital betriebenen Politik allzu offensichtlich und für unvoreingenommene Beobachterinnen und Beobachter absehbar.

Drittens war es daher auch nicht wirtschaftspolitische oder andere Unfähigkeit der Bundesregierung oder der SPD, sondern bewußtes Kalkül und bewußt in Kauf genommene Krise, daß sie diese Strategie verfolgten. Mit ihrem überhasteten Anschlußkurs wollten sie vor allem anderen gewährleisten, daß die Vereinigung der beiden deutschen Staaten weder durch Aspekte einer gewissen Gleichberechtigung, noch

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