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Trotzdem: „Heldenplatz“ bleibt zuvörderst österreichisch.

  • Lesedauer: 2 Min.

Große Literatur ist immer und zuvörderst provinziell. Das ist die Voraussetzung, um überall in der Welt verstanden zu werden.

Auffällig, daß Bernhard seit seinem Tode als Nationaldichter gilt. Hofiert, grandios gewertet, geradezu unsterblich.

Jaja, Thomas, Thomas, Thomas! So schreien sie plötzlich alle. Nur ein toter Dichter ist ein guter Dichter. Das Maul ist gestopft, jetzt kann man aufatmen. Die jetzt fast ins Grab kriechen mit ihrer Schleimspur, die haben Bernhard vor seinem Sterben mundtot machen wollen. Das betrifft Politiker wie Journalisten. Als „Heldenplatz“ inszeniert wurde, geriet das ganze Land zur Bühne, und man kann sagen: Diese perfiden Typen werden immer wieder ihren Rollen gerecht, die ein Dichter wie Bernhard ihnen schrieb.

Irgendwie schockierend genial, wie eng bei Bernhard Shakespeare und Nestroy, das Schreckliche und der Kalauer liegen.

Ich bitte Sie! Die bittersten Momente enthalten das Groteske doch stets wie etwas ganz Selbstverständliches. Mit der , Sterblichkeit des Menschen wird immer nur wieder die Unsterblichkeit der Komödie bewiesen. Sehen Sie, es war im Winter. Ich saß bei Thomas Bernhard im warmen Zimmer. Vögel pfiffen, ja irgendwo pfiffen Vögel, und wir machten uns gegenseitig darauf aufmerksam, und wir wußten doch auch beide, daß das unmöglich war. Wissen Sie, was es war? Bernhards

Lunge. Die pfiff. Bitter, tragisch, und wenn ich es so erzähle, bestimmt geschmacklos. Aber wir haben schallend gelacht, und wir haben lange gelacht. So ist das mit den schlimmsten Punkten im Leben. So einfach. Und ein paar Heuchler tun dann immer, ach, wie pietätvoll.

Thomas Bernhard starb im Februar 1989. In seinem Testament verfügte er ein Veröffentlichungsyerbot seiner Werke für Österreich, gemäß Urheberrecht, also: auf 70 Jahre. Verstehen Sie das?

Das ist sehr seltsam. Sicher, da war sein Zorn, seine Enttäuschung - aber noch eine 1 Woche vor seinem Tod hat er mich heftig beschimpft: Warum nicht mehr seiner Stücke auf dem Burg-Spielplan stehen, ob wir nicht eine TV-Fassung von „Heldenplatz“ machen sollten. Und er wollte selbst eine Inszenierung übernehmen. Diese folgenreiche Entscheidung Bernhards, sein Werk gleichsam für Österreich zu sperren - sie wird niemals entschlüsselt werden. Aus dem Grab streckt er noch einmal die Zunge heraus.

Leider trifft seine Antwort gegen den miesen politischen und feuilletonistischen Pöbel im Nadelstreif auch jene, die ihn liebten. Und lieben.

Ja, und es sind viele, die ihn lieben. Und immerhin zeigt sich solche Liebe auch an der )Größe der Grabsträuße.

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